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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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nicht auseinandergefallen war. Peter ließ sich auf den Kinderstuhl plumpsen, der sogleich unter ihm zusammenbrach. Die Gabel, mit der er den Kuchen gegessen hatte, lag verbogen auf dem Teller, er schlug die Augen nieder, wieder fühlte er den entgeisterten Blick der Mutter auf sich. Kleine Hunde, Katzenjunge wagte man ihm nach einer tragischen Begebenheit nicht mehr in die Hand zu geben.
    Einmal wollte er mit seinem Bruder durch das Fenster eines deutschen Hauses spähen, die anderen Kinder hatten von den geheimnisvollen Apparaturen und glitzernden Steinen des Besitzers erzählt, des Arztes Gustav Schütz, der dort mit seiner Familie wohnte, ein schrulliger Mann mit Donnerstimme, der es immer eilig hatte. Peter näherte sich unvorsichtig der Fensterscheibe, sogleich sprühte das Universum klirrend Funken, und er lief mit blutiger Stirn nach Hause. Unterdrückt schluchzend stand er vor seinem Vater, den das zerschnittene Gesicht nicht interessierte, sein Blick glitt abwärts und verfinsterte sich: Peter hielt die Klinke des Haustors umklammert. Am nächsten Tag kam der deutsche Doktor zu Antal Schön, der pflichtschuldig nach Geld kramte, doch Herr Schütz winkte ab, es bestehe keine Notwendigkeit der Wiedergutmachung, wenn er um etwas bitten dürfe, dann möge Herr Schön so gut sein, ihn als Hausarzt der Familie zu akzeptieren.
    Doch nicht zur Strafe?, fragte der Lehrer.
    Sie haben erstaunliche Söhne, bemerkte der Deutsche, und bald hatten sie sich geeinigt.
    Peter bemühte sich, die eigene Zügellosigkeit zu bremsen, mit der ganzen Bewusstheit seiner sechs Jahre versuchte er, vorsichtiger zu werden. Er raufte nicht mit seinem Bruder, um ihm keinen Schaden zuzufügen. Erwachsenen gegenüber verhielt er sich respektvoll, nahm Gegenstände behutsam in die Hand, betete häufig und bekreuzigte sich, wie er es bei den Älteren sah. Er hoffte, Gott würde ihm helfen. Zu seinem fünften Geburtstag hatte ihm ein tiefgläubiger Verwandter, dessen schwerer grauer Mantel Duftwolken von Gewürzen verbreitete, ein silbernes Kreuz geschenkt. Jesus hing daran, der Gekreuzigte, der am dritten Tage auferstanden war. Also würde Jesus ihm helfen! Er trug die Devotionalie am Hals, tastete oft danach, sprach zu ihr, weihte sie in seine Geheimnisse ein. Eines Tages packte ihn ein eisiger Schrecken, als er sah, was mit dem Kreuz geschehen war; wie all die Löffel, eisernen Stäbe und Haken hatte sich auch der Erlöser unter Peters Fingern verformt. Er versuchte ihn gerade zu biegen, worauf das Silberbälkchen brach, und auch Jesus war entzwei, in der Mitte auseinandergebrochen. Seine Tränen hinunterschluckend lief der Junge zur Theiß und warf die Abscheulichkeit hinein.
    Seinem Vater sagte er, er habe das Kreuz verloren.
    Das war die erste Lüge, an die er sich erinnern konnte.
    An jenem Frühlingstag des Jahres 1823 betrachtete er minutenlang die in sich selbst versunkene Mutter, während der Bruder ein Stück entfernt herumscharrte, Käfern und Gräsern etwas zuflüsterte. Er dachte so oft an diese Szene, dass er alles genau hätte beschreiben können: den Anblick des Himmels, seine Farben, den blass schimmernden Dunst, die Schäfchenwolken und einen kleineren Riss, der gegen Osten trieb. Der Brustkorb der Mutter hob und senkte sich, ihre Finger waren im Schoß verschränkt, der Sonnenschirm lag nun im Gras. Und ihn, den sechsjährigen kleinen Kraftprotz, dieses der eigenen Plumpheit ausgelieferte hungrige Wesen, ergriff ein überirdisches Glücksgefühl, als erdie Mutter so sah, er bezweifelte nicht, dass sie glücklich war, und er allein war der Eingeweihte dieses allereinfachsten Zustands, zudem teilte sie dieses Glück auch noch mit ihm, denn was man sehen kann, gehört einem gewissermaßen auch. Also trat er zu ihr hin und umarmte sie, und sie lächelte nur, als er sie berührte, ihre Locken kitzelten ihn am Hals. Immer fester drückte er sie an sich, schließlich öffneten sich ihre Augen, als sei sie aus einem Traum erwacht, sie blinzelte verschämt, dass sie erwischt worden war, denn vielleicht hatte sie ihre Phantasie auf verbotenes Terrain schweifen lassen, dann wurde ihr Blick starr und zeigte wachsende Bestürzung, sie verstand nicht, was mit ihr geschah. Unablässig umarmte und drückte er die Mutter, die auch weiterhin nicht schrie, ihr Seufzen war heiß und hastig. Peter war außerstande loszulassen, nicht nur, weil es das Schönste war, was er je erlebt hatte, sondern weil er glaubte, dass es auch die Mutter nach

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