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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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einem Spitzel auf der Bank gegenüber, reißt ein junges Ding an sich und fühlt sich gleich besser. Er bestellt Wein und Braten, und am nächsten Tag erwacht er neben einer fremden Frau, sein Geldbeutel liegt leer neben der Hose auf dem Fußboden, und die Schlampe hält sein Glied umklammert, als wolle sie unbedingt verhindern, dass er sie ohne morgendliche Zärtlichkeit verlässt. Sein erster Weg führt ihn in die Kirche, er sucht einen Pater, stockend, von Schuldbewusstsein gequält, beichtet er alles, das heißt, fast alles, denn schon die morgendliche Unzucht lässt er unerwähnt. Danach fühlt er sich befreit.
    Er hatte oft darüber nachgedacht, an welchem Tag, zu welcher Stunde sich sein Schicksal entschieden hatte. Es konnte nur im Frühling 1823 gewesen sein, die Winde wehten schon warm, die Welt badete im Sonnenglanz. Sie waren in einem Hain nicht weit von der Hexeninsel, die Mutter saß auf einem Baumstumpf, hatte ihr Schultertuch unter sich gebreitet, ihr weißes Kleid wallte wie ein Wasserfall ins Gras. Sein Bruder spielte wie meistens mit Käfern, er sammelte Spinnen, Ohrenkneifer und Regenwürmer und sperrte sie in Zündholzschachteln. Seit die Mutter ihn deshalb gescholten hatte, aß Imre Blumen nur noch heimlich. Er weihte Peter in die Geheimnisse pflanzlicher Organismen ein, in das Leben der Moose, Farne und der auf Baumstämmen lebenden Pilze, in die Welt der Blumen und ihres Geschmacks. Atemlos und mit heiserer Stimme erzählte er ihm, dass die Rose süß und die Narzisse sauer sei, die Tulpe Brechreiz verursache, Flieder- und Narzissenblüten einschläfernd wirken. Gemeinsam verspeisten sie Robinienblüten, die wirklich süß waren. Und wenn ein in den Blütenblättern versteckter Käferzwischen ihren Zähnen knackte, mussten sie lachen. Der Bruder erzählte ihm von Wesen, die im raschelnden Stroh, in der Erde und im Laub lebten und ihm erst kalte Schauer über den Rücken jagten, dann spuckte er auf sie. Er glaubte nicht an solche Wesen, weil er an sich selbst glaubte, und auch in der Rolle der gescheiterten Existenz gefiel er sich nur, um sich bedauern zu lassen.
    Es war Ende April, die Stadt schwamm im Licht, die Sonne hatte sich den Schilfdächern der Unteren Stadt zugewandt, die Mutter saß in der Nähe, ihr Gesicht glich dem einer Marmorstatue, ihr Körper verharrte reglos, mit geschlossenen Augen hielt sie einen Sonnenschirm. Das Licht verwischte ihre Gestalt, ein Windhauch umtanzte sie. Er war sechs und fast so groß wie sein zehnjähriger Bruder. Schon als kleines Kind hatte er eine unwahrscheinlich tiefe Stimme, und wenn er zu reden begann, sahen ihn die Erwachsenen mit großen Augen an. Manchmal erschrak er selbst vor dem gesprungenen Topf, der in seiner Kehle klapperte. Bei der Geburt sei er sechs Kilo schwer gewesen, würde ihm die Hebamme später erzählen, eine grauhaarige Frau mit knorrigen Fingern. Anna Szabics blieb auch während der Schwangerschaft grazil. Die Wehen setzten ihr so zu, dass sie nach der Entbindung eine Woche bewusstlos dalag, glücklich, die gewaltige Last losgeworden zu sein und sich wieder leicht zu fühlen wie ein Blatt Papier, auf das man fortan nur noch mit einem feinen französischen Crayon und nur unbeschwerte Stanzen und Sonette schreiben sollte. Die Hebamme drückte ihr die Brüste, bis nach einer Woche keine Milch mehr kam, und dann öffnete die Mutter die Augen.
    Was wird in den Wiener Theatern gespielt?, war ihre erste Frage, sie musste sie wiederholen, und ihr Mann, der Lehrer Antal Schön, der neben ihr saß, schlug das Grammatikbuch in seinem Schoß zu und erhob sich.
    Guten Morgen, meine Dame, sagte er trotz der Mittagszeit, wir haben schon ungeduldig darauf gewartet, wieder deine Gesellschaft zu genießen, fuhr er fort und verließ den Raum, doch er schickte das Kindermädchen mit dem Säugling hinein, unddie Mutter staunte über das riesige Kind, wie sich das Kindermädchen aus Taktgefühl ausdrückte.
    Mutter war wohl vor allem erschrocken, dachte Peter bitter und hob das Weinglas zum Mund. Armlehnen, Treppengeländer und Besteck, die anderen Menschen, seinen Eltern und natürlich seinem Bruder eine Hilfe waren, brachten ihn regelmäßig in peinliche Situationen, Gegenstände, die er anfasste, gingen kaputt. Geborstenes, Zerbrochenes und Zerrissenes markierten den Weg des Kindes. Hilfsbereit brachte es dem Vater ein Glas Wasser, dann sah es in ein betroffenes Augenpaar, der Vater wies auf das Glas, ein Riss lief rundum, ein Wunder, dass es

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