Blumenfresser
musste es sein!
Szeged war still, die Straßen ausgestorben, die Häuser erblindet, die Stadt war tot, tot das Land, in dem die Freiheit gestorben ist, weil sie in den Staub getreten wurde. Sogar die Russen waren erstaunt über das Ausmaß der österreichischen Vergeltung, über die wutschäumende, auch Unschuldige treffende Grausamkeit und die sinnlos schweren Urteile, die von den senilen Offizieren der Kriegsgerichte gefällt wurden, wofür sie natürlich Geld, fette Diäten erhielten. Als düstere Wolke legte sich die Angst über die Stadt, und wenn der Kettenhund neben dem Tor anschlug, trat man ihn in die Weiche, damit er kuschte. Geige und Dudelsack wurden unter der Bank verstaut. Kein Kind verirrte sich zum Spielen an den Graben, und wenn sich eine Frau hinauswagte, um für den bettlägerigen Großvater Milch zu holen, dann hastete sie mit flatterndem Blick, als wäre man hinter ihr her. Es war ein gelb glänzender Frühherbst. Sonst bevölkerte sich um dieseZeit der Hauptplatz mit Verkäufern und Fuhrleuten, nun war er ausgestorben. Ein, zwei hartnäckigere Bauern lungerten in der Nähe des Rathauses herum und boten verschämt Äpfel, Trauben und Kürbisse feil. Beamte der von den Österreichern geschaffenen Behörde, in Pantalons und Röhrenhüten, sogenannten Zylindern, tauchten auf, ihre unbewegten Mienen versprachen wenig Gutes. Eine Hausdurchsuchung jagte die andere, zurück blieben ausgekippte Wäschekörbe, verstreute Kleider, Schränke mit ausgehängten Türen, bis zur letzten Stecknadel durchstöberte Schreibtische, durcheinandergewirbelte Blätter und Bücher und verwaiste Frauen mit Tränen in den Augen, denen die Beamten nicht einmal genug Zeit gelassen hatten, den verschleppten Männern die notwendigsten Kleinigkeiten einzupacken.
Nach der Liebe musizierte Nero Koszta meist ein, zwei Stunden und beschäftigte sich dann mit dem Kind, das er Adam Pallagi auf dem Schlachtfeld abgenommen hatte. Er musizierte für den elenden, wunderschönen Embryo, der dank der Grasmusik zu einem schlanken Mädchen heranwuchs und nicht nur bereits lief, sondern, wie der Grasmusikant schon vor ein paar Wochen prophezeit hatte, auch schon weinen und lachen konnte. Es tat ihm weh, wenn es hinfiel, es tat ihm weh, wenn man grob mit ihm sprach und es schmerzte auch, wenn es gestreichelt wurde.
Aber, aber, Struwwelmadonna, weine nicht, zeige nicht, dass es wehtut, denn das darf man nicht! Wenn jemand sieht, wie schön dein Schmerz ist, wird er dir genommen!
Nero Koszta nahm Struwwelmadonnas Arm und drückte ihn fest.
Tut es weh?
Das Mädchen nickte, sehr sogar, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Na schön, Kind, sag nichts, singe nur!
Auch Worte werden gestohlen wie Geld, doch den Gesang kann niemand stehlen. Das Wort ist nur eine Blüte auf dem Mund, sie kann abgerissen, ausgerissen werden. Doch der Gesang ist der Mund selbst!
So konnte Struwwelmadonna also nicht sprechen wollen, sie durfte es nicht wollen. Nur singen konnte die kleine Struwwelmadonna, aus Liedern bestand ihr Leben und aus Worten ihr Tod.
Nero umarmte seine Frau, die verrückte kleine Schauspielerin, er hielt sie mit starken Armen, dann entkleidete er sie, steckte seinen dicken Kopf in ihren Schoß, biss auf ihrem Bauch herum, leckte ihr die Sohlen ab. Die Morgenröte zog auf, sie badeten im Tau, liefen nackt zwischen Wolfsmilchblüten und Primeln herum. Es wurde finstere, sternenlose Nacht, und Nero tanzte noch immer um sie herum.
Zwischen den Häusern der Stadt bellten deutsche Kommandos, stumme Gefangene mit fahlen Gesichtern wurden über den fackelerhellten Platz geführt, ihre Ketten klirrten rhythmisch. Kähne glucksten am Ufer, ein Fischer ruderte in die Mitte des Flusses und saß einfach nur da mit krummem Rücken, rauchte Pfeife und blies den Rauch über das Wasser, und Nero Koszta liebte immer noch.
Zeitungsredakteur Kigl verbeugte sich vor einem Herrn mit weichen Zügen, der Anzug und Zylinder trug und ihm nachlässig winkte, fragen Sie nicht, folgen Sie mir nur, und Nero Koszta liebte immer noch.
Klara saß am Fenster, der Kummer hatte das Licht aus ihrem Gesicht gefressen, sie sah zu, wie die österreichischen Besatzungssoldaten marschierten, und Nero liebte und liebte.
Wie eine Statue stand Gilagóg im Mondschein, sein Schatten reichte weit, das Lager schlief, und während die Zigeuner unruhig in ihren Zelten und zwischen halb hochgezogenen Lehmmauern schliefen, grübelte er unablässig, wie er die Weltgeschichte seines
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