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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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naiv und kindlich war, doch er wusste bereits, dass man auch ohne Gewalt rauben konnte. Jedem nahm er etwas weg, hier eine luftige Idee, dort einen Traum, irgendeine harmlose Gewohnheit oder heimliche Sehnsüchte.
    Jenes Gutshaus in Ostungarn mochte er sehr. Rosen und wilder Wein rankten sich über die Veranda, im Frühling war der Blättervorhang vom Gesumm der Bienen erfüllt. Das Haus war verfliest und über einem Keller mit großem Schlund gebaut, unten ruhten dicke Fässer. Das weiße Dorf war nah, Brunnen reckten sich in die Höhe, zu ihren Füßen glänzten Gartenteiche. Den mörderischen Wachhunden nötigte er Respekt ab. Dabei tat erihnen nichts, nur fürchtete er sich nicht vor ihnen. Meist hielt er sich mit der fast gleichaltrigen Zsófia, der Wüstenblume, im Esszimmer auf. Die Fenster des Zimmers gingen nach Süden, die Regale an den Wänden bogen sich unter Büchern und Zeitschriften, auch ein Tisch mit einem Nadelkissen und ein Sofa befanden sich dort. Ausführlich und leidenschaftlich schilderte er ihr, dass er sich eine Partnerin wählen werde, die einsam und unverstanden lebte, in der griechischen und römischen Kunst bewandert war und aus einer barbarischen Umwelt errettet werden musste; er war erst zwölf, hatte sich aber auch schon in solchen Dingen eine Meinung gebildet.
    Zsófia war eine entfernte Cousine von Peter, die einzige Tochter eines ostungarischen Grundbesitzers, sie las Goethe, Schiller, Annette von Droste-Hülshoff und Homer im Original und führte im rastlosen Wind der Nyírgegend ein geheimes Mädchentagebuch, in dem sie sich als »Wüstenblume« bezeichnete. Nun drückte sie Peter, der dabei seine Stirn in ihren Ausschnitt sinken ließ, mit Tränen der Dankbarkeit an sich. Sie war glücklich, dass sie jemanden gefunden hatte, der sie verstand. Peter studierte den atemberaubenden Dunst des Frauenkörpers, und weil diese Beschäftigung beiden wohltat, gingen der Nachmittagsruhe lange Minuten verloren. Sie fand ein Ende, als der Speichel des Jungen in die Schlucht zwischen den Brüsten floss. Zsófia schob ihn von sich, doch natürlich war sie zu weise, um wegen dieser Ausschweifung richtig wütend zu werden.
    Die Frau ist ein aus himmlischen Fäden gewebtes Wesen, im Grunde ein Engel, der nichts von der Wirklichkeit des Lebens weiß, erklärte sie und legte seine Hand auf ihre Brust, sei vorsichtig, flüsterte sie, liebkose mich nur, spiele mit deinen starken Fingern, sie schloss die Augen und gab weitere Anweisungen, um schließlich mit einem in immer höhere Register vordringenden Seufzer ohnmächtig zu werden. Nach einigen Minuten, in denen der Junge die vor dem Haus vorbeiziehende Herde betrachtete, schlug sie die Augen auf und ließ ihn schwören, dass ein ewiges Geheimnis bleibe, was zwischen ihnen geschehen sei; wenn er ihrer Familie oder einem Fremden gegenüber die kleinste Anspielung mache, werde ihm nie wieder ein ähnliches Glück zuteil werden. Hierauf holte sie ihre neuesten, in sapphischen Strophen geschriebenen Dichtungen hervor und begann zu deklamieren. Peter hörte beklommen zu, er rutschte hin und her, gepeinigt von seiner Erregung. Zsófia ließ das Blatt sinken, sah ihn ärgerlich an, dann erreichte sie mit ein wenig Streicheln, dass auch ihm der Atem stockte. Als Peter sie mit dankbarer Betroffenheit anstarrte, fuhr sie mit dem Deklamieren fort. In diesem Moment verstand Peter, dass man, statt Gewalt anzuwenden, mit einem weisen Handel dem Leben dienen konnte.
    Auch als Zsófia längst verheiratet und Mutter zweier Kinder war, die beiden anderen waren tot zur Welt gekommen, empfing sie ihn noch immer. Ihr Gemahl, ein bejahrter, konservativer Komitatspolitiker, Besitzer von Ackerland und Obstgärten beträchtlicher Größe, mochte den entfernten Verwandten, mit dem man bis in den Morgen trinken und grölen konnte. Zsófias Mann hinkte, und er konnte nicht ahnen, dass die feine und kultivierte Mutter seiner Kinder sich mit dem treuherzigen Verwandten in der Speisekammer, im Aufgang zum Dachboden, im Dunkel hinter der Kellertür, im Salon, im Rosengarten, einfach überall, wo sich Gelegenheit dazu bot, mit dem Entdecktwerden kokettierend der Fleischeslust hingab. Er verstand auch nicht, welches Vergnügen der gewaltige Bursche an den Gedichten seiner Frau hatte, die jedes Mal, wenn Peter auftauchte, am Abend vorgetragen wurden.
    Wo er auch hinkam, rief er Verstörung und Empörung hervor, wie sehr er sich auch bemühte, vorsichtiger zu sein; nicht einmal seinem

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