Blumenfresser
schließlich flehte, er möge aufhören. Er schulterteden Hilflosen, trug ihn heim und wusch ihn am Brunnen im Hof. Zu dem Mädchen, das von der Loggia aus zitternd zusah, sagte er nichts. Am nächsten Tag wurde er in Gewahrsam genommen, man steckte ihn zu Dieben, Betrunkenen und in den Weingärten am Stadtrand aufgegriffenen Zigeunern in die baufällige Pontonier-Scheune neben dem Fischmarkt. Der Wärter gab ihm einen Stoß, Peter schlug ohne zu überlegen zurück, mit dem Ellbogen zertrümmerte er dem Kerl die Nase. Der Aufseher brüllte, zu dritt warfen sie sich auf Peter und verprügelten ihn, er spuckte ihnen sein Blut ins Gesicht. Dem Vater gelang es am nächsten Tag, ihn herauszuholen, kopfschüttelnd desinfizierte Doktor Schütz seine Wunden und nähte ihm mit einigen schnellen Stichen den eingerissenen Mund zusammen.
Er war sechzehn, als Széchenyi per Schiff nach Szeged kam. Die ganze Stadt drängte sich am Ufer, Reiter und Bauernkinder begleiteten den herannahenden Dampfer auf der Promenade. Es waren die ersten Septembertage. Peter kickte Steine vor sich her, der große Bahnhof für den berühmten Mann interessierte ihn nicht besonders, seit langem brütete er über einem wichtigen Entschluss. Sein Bruder wollte ins Ausland gehen, um sich weiterzubilden, und war vierunddreißig abgereist, er selbst war mit einem in sich gekehrten Menschen, seinem Vater, zurückgeblieben. Erstaunt sah er, dass der Vater nicht starb, obwohl er Grund genug hatte, die Welt zu verlassen. Peter verstand nicht, wie man so leben konnte. Von der Mutter gab es keine Nachricht, seit ihrer Flucht war aus dem Vater kaum ein Wort herauszubringen, ziellos verstrichen seine Tage, seine Schüler blieben aus, und schließlich versetzte man ihn, seine Verdienste mit einem Festabend in kleinem Kreis würdigend, auf demütigende Weise in den Ruhestand. Alles, was Antal Schön tat, die beschaulichen Spaziergänge, die peniblen Essensgewohnheiten, die bis in die Nacht dauernde Lektüre waren nur Brosamen eines früheren, blühenden Lebens. Peter ging ihm aus dem Weg, er hatte ihm nichts zu sagen, und auch der Vater machte keine Anstalten, er spürte den Vorwurf des Jungen, er sei schuld, dassAnna Szabics davongelaufen war und Peter seine Mutter verloren hatte.
Nach dem Besuch von Széchenyi zog er eine Art Bilanz. Er stellte fest, dass er sich auf einem guten Weg befand, jedoch waren ihm die Ursachen gewisser Befindlichkeiten und manche Zusammenhänge des Lebens nicht klar. Obwohl doch alles in seiner Hand lag! Seine Auffassungsgabe, Sensibilität und Körperkraft machten ihn zu etwas Besonderem, demzufolge lag es nur an ihm, den Himmel wie ein gewaltiges Tuch zur Erde herabzuziehen. Der Herbst malte mit Rostfarbe, es war Ende Oktober, der Namenstag des Demetrios. Die Stadt hatte eine kuriose Vorliebe für dieses Fest, die Plätze wurden von Marktleuten okkupiert, sie hielten einen Viehmarkt ab, der Duft von Fischsuppe lag in der Luft, die Gerüche von Most und Schnaps vermischten sich. Trotzdem achtete Peter mehr darauf, wie die Linde sich ihres Laubs entledigte, wie sie die gelben, braunen und roten Blätter fallen ließ! Ein herabsegelndes Blatt versuchte er mit seinem Atem in der Luft zu halten. Dreh dich, Blatt, kreisle, Blatt! Nach einiger Übung gelang es ihm, doch da wirbelte schon der stechende, feinkörnige Schnee im Dezemberwind.
Na schön, denken wir uns andere Kunststücke aus!, dachte er zufrieden und begann zu üben, mit kleinen Dingen umzugehen, die in krassem Gegensatz zu seiner Statur, zu seinen dicken Fingern standen. Er dachte an Zsófia, die Wüstenblume, an ihre süßen Brüste, die ihm ohne die gebotene Behutsamkeit ständig aus den Händen gequollen wären. Er lernte, eine Nähnadel auf dem Zeigefinger zu balancieren. Er ließ einen Luftzug durch die Wohnung strömen, plazierte ein Streichholz auf seiner Zunge, und es gelang ihm, es aufrecht zu halten. Auf der Spitze seines kleinen Fingers hielt er ein Schnapsglas im Gleichgewicht. Mit magischer Geschwindigkeit knüpfte er Knoten und löste sie wieder. Später würde er besonders damit glänzen, dass er ein volles Likörglas in der Brusttasche versenken und tanzen konnte, ohne einen Tropfen zu verschütten! Noch in die kleinste Nadel fädelte er den Zwirn ein, zerlegte seine Taschenuhr und setzte sie wieder zusammen, und die kleine Apparatur funktionierte begeistert tickend weiter. Wer es sah, mochte denken, dass er lauter nutzlose Dinge trieb. Dabei wappnete er sich
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