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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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manchmal heulte er wie ein Wolf, und Imre behauptete begeistert, das sei die Musik des Grasmusikanten.
    Der Wind blies ihm Staub ins Gesicht, hustend wischte ersich ab und gab dem Kutscher ein Zeichen, dass er zu Fuß weitergehen wolle. Er stieg aus der Mietdroschke, am Ende der Budaer Straße, nicht weit von einer Kneipe, vor der Pferde Gras kauten. Das Glänzen der Kirchtürme war bereits zu sehen. Es tat ihm das Herz weh, alles hier war so klein und staubig, doch er wusste, Wien erwartete ihn zurück, und das Wiedersehen würde kein schlechtes Abenteuer werden. Er wollte weitergehen, als er eine Stimme hörte. Auf der anderen Straßenseite, im Schatten einer kümmerlichen Robinie, wiegte sich ein riesiges Weib in den Hüften. Der Anblick war so unwirklich, dass er hinging und das schmutzige Gesicht, den trüben Blick und den wogenden Leib aus der Nähe betrachtete. Die in Lumpen gehüllte Frau plapperte vor sich hin. Schuhe trug sie nicht, ihre Zehen gruben sich wie Krallen in die Erde, nicht weit entfernt kicherten zwei Vogelscheuchen. Peter kramte seinen letzten Gulden hervor und drückte ihn der Frau in die Hand, worauf sie loskreischte. Peter wandte sich ab und ging auf die Stadt zu, die nun im sich verdichtenden Nachmittagslicht zu schweben schien. Die Verrückte schrie immer noch. Als die Münze ihn am Rücken traf, drehte er sich rasch um. Die Verrückte war ihm dicht auf den Fersen und grinste ihn an, sie warf sich auf ihn, riss ihn zu Boden und küsste in seinen Mund hinein. Peter stieß sie zurück, wischte sich mit heftigen Bewegungen ab, spuckte aus, doch der widerwärtige Geschmack endzeitlichen Moders blieb in seinem Mund zurück. Das Weib wieherte, ihr rotes Gesicht wurde von den Blättern einer Robinie umrahmt, ein sich schräg windender Ast sah aus wie ein gewaltiger Wurm. Peter lief es kalt über den Rücken, er drohte ihr mit der Faust. Dann sah er den Gulden im Staub und bückte sich. Die hasserfüllten Flüche der Frau blieben ihm lange im Ohr. Er befand sich bereits in der Stadt, strich zwischen den Zelten des Hauptmarktes umher, noch immer spürte er die Stelle am Rücken, wo ihn die Münze getroffen hatte. Weder der Schnaps, den er unterwegs getrunken hatte, noch der Apfel vom Markt konnte den Geschmack der Fäulnis aus seinem Mund vertreiben, das Gefühl, er hätte Friedhofserde gegessen. Wie eine Mahnung seines Bruders kam ihm das vor: Er solle gefälligst zur Kenntnis nehmen, dass er wieder daheim war, in Szeged, dass ihn hier Schatten, Nebelmenschen, abscheuliche Windgestalten erwarteten, die dem Leben erst seinen Wert verliehen!
    Vor dem Vaterhaus hielt er inne, gut ein halbes Jahr war es her, dass er es zuletzt gesehen hatte. Er kniff die Augen zusammen, alles schien beim alten zu sein, die gelben Mauern, das Haus, die krumme Straße, nichts hatte sich verändert. Als er die geschlossenen Fensterläden sah, verstand er, was die Verrückte geschrien hatte.
    Du bist eine gescheiterte, gescheiterte Existenz!
    Der Bruder hielt sich im Ausland auf, und der Vater empfing ihn gelassen, als wäre Peter gerade mal fünf Minuten fortgewesen. Der Lehrer war binnen Monaten ergraut, sein Rücken krumm geworden, er ging schlurfend und gab schmatzende Geräusche von sich. Er könne sich bei ihm einquartieren, im Haus der Familie, murmelte der Vater und putzte sich die Nase, bis er irgendeine sinnvolle Beschäftigung finde. Peter nickte, aber sicher, danke Vater, wenn du meinst, wohne ich bei dir. Er holte sich einen Likör und spülte den Mund aus. Antal Schön starrte ihn stumm schmatzend an. Peter öffnete seine Tasche, der Vater zog sich mit der langstieligen Pfeife zurück, die er ihm aus Wien mitgebracht hatte.
    Peter hatte keine Ahnung, was er mit seinem Leben anfangen sollte. In einem Amt zu sitzen, eine politische Laufbahn anzustreben oder Landwirtschaft zu betreiben, das war alles nichts für ihn. Er sah sich ein wenig um, wanderte durch die Straßen. Die Politik, die in einen immer leidenschaftlicheren Strudel geriet, betrachtete er aus gebührender Entfernung. In Pressburg fand eine Sitzung statt, in der aufgeheizten Atmosphäre drohte mehreren Abgeordneten die Inhaftierung. Er wusste, dass Wesselényi und Kossuth mit dem Feuer spielten, die Landarbeiter würden bald ihr eigener Herr sein, weil der Boden, den sie bearbeiteten, abgelöst wurde. Die Juden erlangten ihre Gleichstellung, und der behäbige ungarische Adelige hatte das Nachsehen, denn sein Fleckchen Land gelangte so schnell

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