Blumenfresser
es kaum für ein Mittagessen, seine restlichen Gulden hob er sich für Pest auf, auch dort blieb er ein paar Tage. Er war froh, endlich wieder in Ungarn zu sein. Später festigte sich seine Gewohnheit, sich jeweils dort wohlzufühlen, wohin es ihn gerade verschlagen hatte. Doch von Wien träumte er viel. In seinen Träumen sah er Unmengen von Geld und Blut. Frauen, Kummer und Not. In einem dieser Träume sprach die Jungfrau Maria zu ihm, ihre Hände waren blutig, ihr Tuch lag vor ihren Füßen auf dem Boden. Sie hatte große, knotige Zehen, doch ihre Augen waren schön, mandelförmig und traurig.
Peter Schön, weißt du, dass du meinem Sohn ähnlich siehst?
Vor Ergriffenheit kam er ins Stottern.
Mutter, Mutter, vielleicht sehne ich mich nur inbrünstiger nach dem Guten als andere Leute!
Ja, Peter Schön, das glaube ich auch, sagte Maria.
Ich verstehe nicht, wie du das meinst, Mutter.
Du bist eine gescheiterte Existenz, Peter Schön, so meine ichdas, und in den mandelförmigen Augen der Heiligen Jungfrau glitzerten Tränen.
Und … und sage, Mutter, ließe sich das nicht irgendwie ändern?
Die Heilige Jungfrau bückte sich, hob ihr Tuch auf, hüllte sich ein, ich denke darüber nach, Peter Schön.
Danke, vielen Dank, Mutter! Peter trat auf sie zu, um Maria zu umarmen, die abwehrend ihre Hand erhob und ehrlich entsetzt zurückwich.
In solchen Fällen wachte er beruhigt auf. Wie konnte es anders sein?! Die verworrenen nächtlichen Träume einer gescheiterten Existenz, der es an Liebe, aber nicht an Tatkraft mangelte. Er war seit einer Woche wieder in Szeged, als er am Morgen betroffen in den Rasierspiegel starrte. Zwei Monate hatte er in der Stadt gelebt, in die Anna Szabics geflohen war, doch keinen Augenblick hatte er an sie gedacht. Die eigene Mutter war ihm nicht eingefallen! Unbegreiflich, wie das geschehen konnte.
Das Geheimnis des Doktor Schütz
Mit fünf Jahren hatte Peter zum ersten Mal einen Toten gesehen. Sie waren mit der Mutter auf dem Heimweg, als Imre einen seltenen Falter entdeckte und vorauslief. Peter überfiel ein Glücksgefühl, dass er die Mutter für sich allein hatte. Er hielt ihre Hand umklammert, drückte sich selig an sie, doch die Mutter sah ihn nicht an. An einem Graben blieb der Bruder stehen und rief sie, bald hatten auch die anderen die Stelle erreicht, ein Mann lag auf der Erde, sein Gesicht war grob geschnitten, aber friedlich, seine Jacke voller Schlamm, er sah aus, als sei er nur eingeschlummert. Die Mutter flüsterte dem erschauernden kleinen Jungen in den Nacken, der Herr schläft, er schläft nur! Sie zog ihn weiter.
Warum hat man ihn nicht aufgeweckt?!
Er hat geträumt, mein Kind, es wäre eine Sünde gewesen, ihn zu stören.
Mich lass nicht so einschlafen, Mama!, sagte er zitternd.
Als das Licht gelöscht war, sagte Imre, Peter müsse wissen, dass dieser Mann tot gewesen sei. So geht es mit den Menschen zu Ende, Brüderchen, sie stürzen zu Boden und rühren sich nie mehr! Peter zog sich die Decke bis über die Nase. Am nächsten Abend behauptete Imre etwas anderes. Er sei der Sache nachgegangen und habe erfahren, dass der Mann doch geschlafen habe. Es sei ein Grasmusikant gewesen, die schlafen wie Hunde. Sie legen sich nieder, wo es ihnen gefällt, mitten auf der Straße, auf Kirchenstufen oder neben dem Graben und schnarchen auch schon. Manchmal schlafen sie jahrelang, und wenn sie erwachen, musizieren sie die ganze Gegend voll. Wurzelmama, Herr Blatt und Herr Wurm sind nahe Bekannte des Grasmusikanten. Wurzelmama kann umarmen wie niemand sonst, Blatt ist imstande, einen bis über die Wipfel der Bäume in die Lüfte zu heben, doch mit Wurm passt man besser auf, wenn er auch vielleicht nicht so gefährlich ist, wie er aussieht.
Imre verstummte sofort, als er sah, dass sein Bruder mit erhobener Faust neben seinem Bett stand. Ein Wort mehr, und er hätte ihn geschlagen.
Gut, es gibt keinen Menschen, der hätte geboren werden wollen, aber wenn man nun mal lebt, warum muss man sterben? Peter spürte eine elementare Empörung, wenn er an den Tod dachte. Auch die Nebelwesen, von denen sein Bruder sprach, Wurzelmama, Herr Wurm und Herr Blatt, geisterten als furchterregende Gestalten des Todes über die Bühne seiner kindlichen Phantasie. Er hatte Angst, ihre Namen auszusprechen. Der Tod ist wie ein Käfer, er fliegt dem Menschen ins Herz, flüsterte Imre im Dunkeln, und Peter bebte vor Angst. Der Nachtwind pfiff, wütend riss er an der Welt wie an einer Narrenkappe,
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