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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Menschengewühl, eine Behörde reihte sich an die andere, vor den Türen waren Kratzeisen angebracht, und jeder zweite Passant hatte Tinte am Ärmel. Und wenn sich der Abend über sie herabsenkte und die Laternen aufflammten, verkündete das Gemurmel der Gast- und Kaffeehäuser, dass man das Leben auch anders genießen konnte als mit tobender Ausgelassenheit, die am nächsten Tag in die Pfütze des Trübsinns mündete. Frau Sperl hatte recht, die Wärme ließ die Stadt erblühen, Platanen, Linden und Erlen säumten die Ufer der verschiedenen Donauarme. Im weitläufigen Pratergarten wimmelte es von adeligen Herren und Bürgerfamilien und auch Männern mit weichen Hüten, das waren die Liberalen. In das Treiben mischte sich das Volk aus den Mietshäusern, Buchbinder, Kopisten und arme Druckereiarbeiter. Eine graziöse Dame verblüffte Peter mit den Bändern und Rosen, die ihr Haar zierten, sie sah aus wie ein junges Mädchen. Er überholte sie, wandte sich neugierig um und hätte fast vor Entsetzen aufgeschrien, eine zahnlose Hexe, der Tod grinste ihn an. Fliederbüsche verdeckten Lichtungen, dort lagen Dienstboten, die Ausgang hatten, glutäugige slawische Bauernmädchen zählten die Wolken und würden demnächst schwanger werden. Bratwurstverkäufer schrien und schenkten Bier aus, auf einer lampiongeschmückten Wiese spielte ein Streicherensemble, dort stellte sich ein Kraftathlet zur Schau, nicht weit davon prahlte ein Kopfrechner mit seiner Kunst, nach seinen Wortkaskaden zu urteilen, hatte sogar ein italienisches Theater den verdienten Mann eingeladen.
    Peter wandelte als demütiger Entdecker in dem Trubel umher, er dachte nicht im entferntesten daran, Einblicke oder Anhaltspunkte zu suchen, er sammelte Impressionen, die er auch noch nach Jahren hervorholen konnte. Er ließ sich von Wien verzaubern, das damals, nach London und Paris, die dritte StadtEuropas war. Doch auch inmitten des rauschhaftesten Taumels vergaß er nicht, dass diese Stadt noch zu kompliziert und gefährlich für ihn war. Würde er jetzt ihre Eroberung in Angriff nehmen, um aus ihrem Glitzern die ihm zustehenden Perlen zu erraffen, sie würde ihn einsaugen und dann ausspucken. Jetzt beobachtete er nur. Eines Abends begab er sich auch ins Café Sperl, hörte an diesem beliebten Ort das Orchester von Strauss, und vielleicht fühlte er sich in jene Geisteshaltung ein, die Wiener Gemütlichkeit genannt wird. Nach dem Biertrinken wischt man sich nicht den Schnauzer ab wie die Ungarn, sondern man wiehert auf. Dann kam ihm zu Bewusstsein, dass auch seine Wirtin Sperl hieß, und darüber brach er in solches Gelächter aus, dass er von mehreren Seiten angezischt wurde, doch er konnte nicht aufhören.
    Später erzählte er der Wüstenblume ausführlich von seinen Abenteuern. Sie hörte seinen Bericht mit zitternden Lippen an, eine Träne lief ihr übers Gesicht, und am nächsten Tag wurde sie so krank, dass die literarische Lesung auf ärztliches Anraten verschoben werden musste. Die Grundherrn der Umgebung, der Oberrichter von Nyíregyháza, beziehungsweise dessen literaturbegeisterte Ehefrau verließen das Gutshaus unverrichteterdinge. Von nun an versuchte Peter ihr die Schönheiten ferner Welten nicht mehr ganz so farbig zu schildern. Träume schaden, zumindest dort, wo nicht einmal die Hoffnung besteht, dass ein Kohlweißling aus ihnen wird. Wien war ein Schmetterling, bunt, vornehm und erschreckend. Trotz aller Achtsamkeit verlor Peter kurzzeitig die Besonnenheit, doch nur seine Seele wurde umgarnt, nicht seine Urteilskraft. Viel hielt er sich in winzigen Tabagien auf und probierte verschiedene Sorten Kaffees. In einem Fiaker mit Ledersitzen, wie sie zwischen sonstigen Mietwagen, Lieferwagen und reitenden Husaren so zahlreich unterwegs waren, ließ er sich in die Vorstadt hinauskutschieren. Sie klapperten lange dahin, solange die Straße es erlaubte, solange es überhaupt eine Straße gab. Am Stadtrand standen dreckige, schwarze Fabrikgebäude, aus den umgebenden Katen und Holzbaracken schlängelte sich Rauch. Neben den Kanälen lagen Kadaver von Hunden und Katzen, halbnackte Kinder spielten im Schlamm. Auch diese schamlos gegensätzliche Welt gehörte zu Wien, doch wenn man auf eine Anhöhe stieg, sah man die Hofburg auch von hier.
    Wie war es möglich, dass ein Mensch, ein kleiner Junge mit glänzenden Augen, aus dem ein Minister werden könnte, in dieser Kacke geboren wird und sich mit dreißig die Lunge heraushustet, während der Kaiser dämlich

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