Blumenfresser
töten?!
Wird er das Kerzenlicht eines anderen Lebens ausblasen?!
Der Gedanke ließ ihn erschauern, dann erstarrte er vor Entsetzen, dass es ihm Lust bereitete, daran zu denken, zu fühlen, dass er einen Lebensfaden abreißen konnte, dass er nicht nur erschaffen, sondern auch töten könnte. Der winzige Käfer fiel ihm ein. Der Bruder hatte ihn gewarnt, er solle ihn nicht töten. Doch er, Peter, vielleicht aus Rache, weil ihn der andere immer in Schrecken versetzte, legte seinen Zeigefinger auf den kleinen Panzer und sah Imre in das schmale Gesicht.
Als sein Bruder das Knacken hörte, sagte er: Auch du wirst so enden, wirst schon sehen!
Peter flehte ihn an, es nicht zu verraten, er bat ihn inständig, niemandem zu sagen, was er getan hatte, nicht zufällig, sondern mit voller Absicht. Schließlich nickte Imre gnädig, in Ordnung, er werde über den Mord schweigen, das sei jetzt ihr Geheimnis, und Peter war erleichtert, doch bald musste er entdecken, dass ihn sein Bruder in eine noch hinterhältigere Falle gelockt hatte, dass er ihm nun vollends ausgeliefert war, denn immer wenn im Haus etwas kaputtging oder wenn auf dem Fußboden oder im Staub des Hofes ein toter Käfer oder Vogel lag, sah Imre ihn nur an, durchdringend, mit anklagendem Blick, als hätte er etwas damit zu tun.
Doch ein Geheimnis hatte auch der Doktor, und als sie einander das erste Mal nach seiner Rückkehr aus Wien begegneten, weihte ihn der Alte in seine unglaubliche Geschichte ein. Es war bereits Herbst, unter grauem Himmel schäumten die Pfützen, bis der Wind sie glättete. Auf den Straßen wollten sich die Zunftzeichen quietschend in die Luft erheben, und der Doktor zog ihn, als er ihm über den Weg lief, ins nächste Kaffeehaus, bestellte Wein und begann gleich zu erzählen.
Einmal habe Peter ihm eine Fensterscheibe zerbrochen, nicht wahr?
Peter lächelte, die weiße Narbe, die von einem Splitter stammte, würde nie von seiner Stirn verschwinden. Der Unfall sei zu der Zeit passiert, als Anna Szabics sie verlassen habe, sagte Peter mit düsterer Miene und gab acht, ob der Doktor bemerkte, was für eine tiefe Traurigkeit ihn bei der Erwähnung des Namens seiner Mutter ergriff. Doch der Doktor hatte keinen Sinn dafür, in seinen Augen glomm ein seltsames Licht.
Er müsse ihm sagen, hob er an, dass er seine Frau so sehr geliebt habe, wie ein Mann eine Frau nur lieben könne. Die Liebe war gegenseitig gewesen und heiß und brennend! Das Mädchen stammte aus Wien, die zweite Tochter eines hochgestellten Regierungsrats, der Vater verkehrte in den höchsten Kreisen, doch das war jetzt nicht mehr von Belang. Vor entsetzlich langer Zeit, 1802, hatten sie geheiratet, und beide waren sie jung und unerfahren gewesen! Da war Napoleon ja noch gar nicht Herr Europas gewesen! Und er, Gustav Schütz, beging den verhängnisvollen Fehler, oder besser gesagt das Verbrechen, seine junge Frau nach Ungarn zu bringen, und nicht einmal nach Pressburg oder Pest, sondern hierher, in dieses Drecksnest!
Und dann lebte er in der ständigen Angst, sie könnte erkranken, von den hiesigen Sümpfen Fieber bekommen, von Bauchschmerzen, Schüttelfrost oder sonst irgendeinem Übel befallen, von Trübsinn angewandelt oder ganz einfach unglücklich werden, deshalb untersuchte er sie täglich gründlich. Das verschaffte anfangs ihnen beiden Beruhigung. Die junge Frau hatte einen wunderschönen Bauch, einen großen, weißen Bauch, und erlegte sein Gesicht darauf und hörte der Musik der Gedärme zu, und das war für ihn schöner als jeder Mozart. Vor dem Mittagessen beziehungsweise nach dem Verzehr von Fleisch, Nudeln oder Schokolade gab der Bauch ein anderes Konzert. Doktor Schütz schenkte jeder Faser ihres Körpers Aufmerksamkeit, er liebte es, ihren Rücken, ihre Schenkel, ihren Nacken zu betrachten! Sie wurde nicht krank. Sie blieb auch hier in Szeged gesund und heiter, doch die Angst, dass sich eines Tages eine jähe Tragödie ereignen könnte, wurde er trotzdem nicht los. Vier Jahre nach ihrer Heirat gebar sie ihm ein Kind, ein gesundes, kräftiges Mädchen. Seine Frau hatte die Wehen gut überstanden, auch Milch hatte sie reichlich. Dennoch saß ihm die Angst im Nacken. Bis er seine Frau einmal bat, ihr mit seinem Skalpell am Arm eine winzig kleine Wunde zufügen zu dürfen.
Peter öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus.
Seine Frau war überrascht, doch sie widersetzte sich nicht. Ja, der Doktor hätte gerne die Heilung beobachtet, wie das geöffnete
Weitere Kostenlose Bücher