Blumenfresser
unbeugsam: Er wollte von Helene nichts wissen. Die Wiener waren sich einig, diese männliche Hartnäckigkeit konnte nur zu einer Ehe führen, und sie irrten sich nicht, denn im Frühling des darauffolgenden Jahres heiratete der Kaiser Elisabeth von Wittelsbach. Auf dem Neuen Markt ging das Gerücht, die Vermählung werde im April stattfinden, und natürlich kam esauch so. Um die Fenster, die Ausblick auf den Zug der kaiserlichen Braut gewährten, wurde bereits gefeilscht, und mitunter forderte und bekam der Besitzer einen Betrag, der für die Miete eines ganzen Jahres reichte. Die Wiener redeten über Omar Pascha, der als Christ geboren war, doch nun im Dienste des türkischen Sultans die Früchte seiner glänzenden Begabung erntete. Die Wiener redeten darüber, dass die Hohe Pforte im Krimkrieg chancenlos sei. Sie sei eine kranke Bestie und werde sterben, trotz der Hilfe Frankreichs und Englands. Die Wiener redeten darüber, dass die Russen, diese Barbaren aus dem Osten, schon beim Aufstand mit den Ungarn sympathisierten! Hätte man die diplomatischen Zügel nur ein klein wenig lockergelassen, würden Pest und Buda, die Donaugegend und das aufrührerische Siebenbürgen nun zum russischen Reich gehören! Die Wiener fragten sich, was die Ungarn wohl von der ewigen Rebelliererei hatten. Liegt ihnen der Geist der Rebellion vielleicht im Blut, saugen sie die Neigung zur Arglist vielleicht mit verdorbener Muttermilch in sich hinein?! Dieses Ungeheuer Kossuth, den im Wien des Revolutionsfrühlings Tausende zu ihrer eigenen Schande gefeiert hatten, als sich in der Jägerzeile eine lange Schlange von Fiakern staute und die schönsten Wiener Frauen der ungarischen Schlange ihre Tücher zuwarfen, Kossuth hätte die ungarische Krone sogar dem Zaren gegeben, nur um das Kaisertum zu demütigen!
So vieles redeten die Wiener, gebeugt über Kipferln, Bierschaum und Marzipanhusaren! Die Wiener hatten meistens recht! Doch die von den rhetorischen Übertreibungen erzeugte Euphorie verebbte rasch, und die Wespen rauften sich um die Krümel auf den Tellern. Der Herbst war wunderschön und müde, in diesem Jahr waren die Blätter größer geworden, somit war auch das gefallene Laub dicker, tiefer und knisternder. Dem besorgten Gerede zum Trotz verhielt sich die Stadt ruhig, und es wurde gemunkelt, dass bald mit noch nie dagewesenen Umgestaltungen zu rechnen sei. Die Pläne seien zum größten Teil fertig, sie ließen die Idee einer prächtigen Metropole erkennen,denn im Weichbild der Stadt werde ein Ring errichtet, aus Marmor, Stein und Eisen, aus präzisen künstlerischen Handgriffen und aus der Inspiration der imperialen Pracht, und die uralten Stadtmauern, die die Stadt nicht mehr schützten, sondern wie ein Fassreifen an der Entfaltung hinderten, würden abgerissen.
Dass sie langsam kaum mehr etwas zu essen hatten, schien irgendwie nicht wichtig. Noch immer fanden sie Zeit, sich auf der Kärntner Straße herumzutreiben, um dann in die Weihburggasse einzubiegen, wo sie in ihrer Lieblingsschenke die Henkelgläser mit ausgezeichnetem Riesling füllten. An der Ecke Rauhensteingasse konnten sie aus der von ihren Bändchen befreiten Holzschachtel Sachertorte essen, die sie dann mit den Mehlspeisen der Demel-Konditorei auf dem Michaelerplatz verglichen. Das bereitete ihnen kein geringes Kopfzerbrechen. Denn bald schmeckte die Sachertorte besser, bald der Kuchen vom Demel! Grundsätzlich war die Leckerei besser, die gerade genossen wurde, beim Sacher gewann also immer die Sachertorte und beim Demel der Demel, weshalb Salamon einmal vorschlug, die Demel-Mehlspeise zum Sacher und die Sachertorte zum Demel zu bringen, und das taten sie dann auch und stellten fest, dass es völlig egal war, wo sie sich befanden. Wenn etwas gut schmeckte, dann schmeckte es überall gut. Der Kuchen der Hölle mundete auch im Himmel, wenn er gut gelungen war. Salamon bemerkte, der Unterschied zwischen Gutem und Schlechtem sei mitunter haarfein, die Differenz zwischen Gott und Teufel oft so gering, dass sie mit menschlichem Auge gar nicht zu erkennen sei und nur der blinde Zufall über die richtige Wahl entscheide.
Demel oder Sacher, das ist ja so egal!, lachte Kigl. Peter betrachtete seine Freunde zufrieden, die Prasserei tat ihm wohl. Etwas beunruhigte ihn aber doch.
Eines Nachmittags schüttete Pietro fünf Tassen schwarzen Kaffee in sich hinein, fiel vom Stuhl, verdrehte die Augen und wand sich in Zuckungen. Kigl hielt den Kopf schräg, immer lauschte er
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