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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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irgendeiner Musik, verschränkte die Hände, sie zitterten trotzdem. Das ist ein Schubertlied, das ist ein Mozart-Klavierkonzert, das eine Beethoven-Sonate, das ist Bach und das eine … eine Arie von Salieri! Aus den offenen Fenstern tönte Tag und Nacht Musik! Überall wurden unglückliche Schüler gequält, hier das Klimpern eines Klaviers, dort das Gefiedel auf einer Geige, hinter dem Fenster mit der goldenen Klinke sang jemand Tonleitern, ein Stäbchen klatschte auf das Notenblatt, die gereizte Erklärung des Lehrers folgte. Interessanterweise störte sich vor allem Somnakaj an dem sonderbaren Zustand der Männer, und sie hätte gern der Verschwendung Einhalt geboten, doch kam sie gegen die vier nicht an.
    Salamon beugte sich zu ihr hinüber, sein Mantel verströmte Zimtgeruch: Die Wiener diskutieren darüber, ob die Welt immer schlechter wird, sagte er.
    Somnakaj hob den Kopf, na, und wird sie das?
    Natürlich nicht, das ist nur ein alter Vorwurf, der immer wieder aufgewärmt wird. Das Neue ist kleiner, schmächtiger und wertloser. Das Alte ist wertvoll, das Alte, das Alte, Salamon schlug sich auf die Schenkel vor Lachen.
    Somnakaj zuckte mit den Schultern, so viel Weisheit war zuviel für sie.
    Warum, der Jude ist nicht alt?!
    Doch, Somnakaj, der Jude ist sehr alt!, lachte Salamon.
    Merke dir, auch der Zigeuner ist alt!
    Bring sie auf den Markt, Somnakaj, verkaufe sie, verkaufe den Juden und den Zigeuner!
    Die Blätter trudelten von den Bäumen herab, in den Weinlauben der Gartenlokale summten die Wespen, auf den Straßen liefen die Mädchen in Rüschenröcken herum. Somnakaj beobachtete sie und weinte. In einer Seitengasse, nicht weit von der belebten Kärntner Straße, rollte ein Karren aus dem Hof eines Fleischers. Das Gefährt holperte, und ein roter kleiner Ball glitt unter der Lederplane hervor und fiel auf die Erde, und sie erkannten sofort, was es war, das fast noch warme Herz eines Lämmchens glitt über das Pflaster. Sogleich begannen die Spatzen über dem Fleischstück zu tschilpen, sie rissen wild daran.Ihr glückliche Spatzen!, rief Peter amüsiert, doch Somnakaj scheuchte sie schreiend fort, sie schnappte das Lämmerherz und drückte es an sich. Salamon beruhigte sie beiläufig. Wenn du es wissen willst, Somnakaj, Paris ist noch schöner als Wien, doch die schönste Stadt ist das himmlische Jerusalem!
    Später brummte Peter, seinem Gefühl nach habe er nicht das Wien von früher wiedergesehen, das hier sei eine andere Stadt, wiewohl er alles kenne, würden sich ihm die Einzelheiten nicht mehr zu einem bekannten Ganzen zusammenfügen, denn auch wenn er die ihm bekannten Gasthäuser im Prater und in der Innenstadt oder die Kaffeehäuser und Schenken, die Würstelbuden und Schnittwarenhändler in der Wipplinger- und Wallnerstraße wiedergefunden habe, so seien der Geschmack, die Farben und der Duft nicht mehr die gleichen. Die anderen hörten ihm gar nicht zu.
    Wo ist das Herz, Somnakaj, fragte Kigl.
    Sie hat es gegessen, nickte Pietro.
    Sieh doch, ist nicht ihr Mund blutig?!
    Er ist blutig, weil sie sich in die Lippen gebissen hat, sagte Peter zu ihrer Verteidigung.
    Ein banges Gefühl beschlich ihn, eine seltsame Beklommenheit, oft blieb er vor einem Schaufenster stehen und musterte sich in der Scheibe, als würde die Veränderung auch ihn betreffen. Salamon zuckte mit den Achseln, seine Verwandtschaft in Herend fertigte viel schönere Tanzfiguren aus Porzellan als die Wiener Manufakturen, und als er das sagte, blies er sich auf die Fingerspitzen. Pietro haspelte etwas über Rom, er flüsterte, Rom, Rom, und Tränen traten ihm in die Augen. Jeder von ihnen weinte heimwärts, jeder von ihnen dachte heimwärts.
    Das Herumziehen und der Terror in Ungarn waren dem Gang der Geschäfte nicht zuträglich. Die ungarischen Geldquellen versiegten langsam, und auch die Reserven gingen zur Neige. Die Geldmittel anzurühren, die aus der Theißunternehmung stammten und deren größter Teil bei einem von Berger empfohlenen Geschäftsmann, dem jüdischen KnopfhändlerIgnác Derera, unter Verschluss gehalten wurde, erlaubte Peter nicht. Sie verließen das kostspielige Quartier in der Nähe der Mariahilfer Straße und zogen mit ihren wenigen Habseligkeiten zu Peters früherer Bekannten, Frau Sperl. Wohin hätten sie sonst gehen sollen? Frau Sperl wohnte noch immer neben dem Prater in der Blumengasse, im selben Mietshaus und in derselben Wohnung. Nicht nur die Umgebung des Hauses hatte sich in den letzten Jahren

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