Blumenfresser
nicht nur Unsicherheit aus, sondern auch etwas Träumerisches. Herr Schütz hatte also eine deutsche Witwe zu ihm gelotst, die leichtfüßig über die Erde der Puszta schritt und in ihrem Rüschenkleid wie ein umherspukender Geist wirkte. Wenn sie mich ansieht, träumt sie sicherlich von einem Berg, dachte er. Als er ihr die Hand küsste, atmete er den Duft ihres Körpers ein.
Die Witwe war schon seit Jahren auf der Suche nach ihrem Mann, Ämter hatten sie davon unterrichtet, dass die Ungarn nach der Schlacht von Győr, das heißt im Juli 1849, deutsche Gefangene von Pest nach Kecskemét und anschließend nach Szeged getrieben hätten, doch dann habe sich die Spur des Transports verloren. Die Staubwolke der Puszta hatte die Gefangenen verschluckt, wenn ihr Mann jedoch noch lebte, musste er in dieser Gegend zu finden sein, ihr Mann, das war ein Nadlermeister namens Klemm, der sich im ungarischen Krieg zum Militärdienst gemeldet hatte, auf kaiserlicher Seite, obwohl er früher auf den Barrikaden von Iserlohn unter der Flagge der Revolution für die Republik gekämpft und seine kostbarsten Goldnadeln, die Perlen seiner Handwerkskunst, für das Zusammennähen der Wunden der Revolutionäre zur Verfügung gestellt hatte. Peter lächelte sie öfter an, als gut war, und er hatte selbst das Gefühl, dass sich häufig gar kein Lächeln über sein Gesicht breitete, sondern ein ungläubiges Grinsen. Die Witwe interessierte sich für die Landschaft, die Ziehbrunnen, die Tränken, für den Anblick der dahinziehenden Herden, für die Endlosigkeit des gelb verbrannten Grases und für das Moor, über dem als langsame Geisterwesen Reiher kreisten. Nachdem sie alles in Augenschein genommen hatte, bat sie Peter und seine Gefährten inständig, ihr einen Anblick zu zeigen, aus dem sie Trost schöpfen könne. Sie, Frau Klemm, habe ihren liebenden Ehemann frühzeitig verloren. Sie trauere, wenn man es ihr auch nicht ansehe. Schlafe sie denn in der Nacht? Sie wälze sich wie im Fieber nur hin und her! Armer Klemm, vielleicht sei er unterSchmerzen zugrunde gegangen, ins Herz getroffen, von einer Kanonkugel zerfetzt worden, oder man habe ihm den Kopf abgeschlagen.
Wieso den Kopf abgeschlagen?!, Peter erschauerte, dass eine Dame etwas so Grauenhaftes aussprechen konnte.
Der Herr würde sich nicht so wundern, wenn er öfter in der Heiligen Schrift geblättert hätte, dann würde er nämlich die Geschichte von Judith kennen, diese tapfere Frau habe den feindlichen Feldherrn Holofernes geköpft. Im Notfall schlage eine Frau einem Mann sogar den Kopf ab.
Peter brummelte nur.
Sie wisse, so die Witwe, dass die Ungarn ein blutrünstiges Volk sind. Trotzdem habe sie sich nicht gescheut, in diese barbarische Gegend zu reisen, knurrte er dazwischen, die Frau schlug die Augen nieder, sie habe nichts mehr zu verlieren. Und während sie so redete und ihren träumerischen, doch oft schelmisch werdenden Blick immerzu auf Peter ruhen ließ, hatte er die Empfindung, dass warme Finger sein Gesicht befühlten. Frau Klemm ließ nicht ab, sie zu bitten, sicher wüssten die Herren eine Lösung, wie sie die Schmerzen einer kummervollen Seele lindern könnten. Schließlich rief sie aus, gut, sie mögen ein Geschäft abschließen. Ja, sie habe in der Stadt gehört, dass Peter Schön ein hervorragender Geschäftsmann sei, doch nicht irgendein Krämer, nein, weit mehr als das, denn in seinen Geschäften wirkten Phantasie und Poesie.
Ein Künstler!
Peter brummte, aber natürlich, ich bin ein Künstler.
Die Witwe war bereits zum dritten Mal zum Gasthof hinausgekommen, und sie bedrängte sie so lange, dass Peter vor Freude laut aufbrüllte, als ihm endlich eine Idee kam. Die Frau wich erschrocken zurück, im nahen Sumpf stoben Vögel gen Himmel. Peter lachte, er sei imstande zu helfen, ja, es gebe eine Chance, die Spur von Meister Klemm in dieser unendlichen Weite zu finden, und dann sprach er das Wort aus, das solches möglich machte.
Délibáb!
Die Witwe wiederholte das ungarische Wort, ja, ja Dellibabb, Sie haben gesagt, Dellibabb?!
Und als hätte sie mit diesem einzigen Wort genug gehört, flüsterte sie, sie würde gerne ins Gasthaus zurückkehren und sich ausruhen, und überhaupt, die Erinnerung an ihren Mann wühle sie immer auf. Sie fuhren zurück, die Witwe ruhte sich aus, Somnakaj wurde eifersüchtig, Margit schlachtete ein Huhn, die Männer tranken, und Herr Schütz fuhr noch vor Einbruch der Dämmerung nach Szeged zurück. Doch am nächsten Morgen
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