Blumenfresser
stand er schon früh im Hof, er war in angeregter Stimmung und hatte seine Fotografiermaschine mitgebracht.
Margits Gasthaus war auf einer kleinen Anhöhe erbaut, östlich davon erstreckte sich ein Sumpfgebiet, im Schilfmeer schimmerte das Weiß salziger Erhebungen. Es war ein richtiges Wasserparadies, mit Unmengen von Vögeln, Silberreihern, Kiebitzen, mit Froschmusik und Wolken von Blutsaugern. Und obwohl einige Robinien die Eintönigkeit des Anblicks unterbrachen, zeigte die unendliche Ebene zwischen den kümmerlichen Stämmen die tiefere Bläue des Horizonts, wo die obere Welt mit der unteren verschmolz. Die beste Aussicht bot sich von einer mit Brennnesseln überwucherten Kanalböschung, vielleicht hatten hier einst Awaren Gräber angelegt. Nicht weit vom Gasthaus stand eine baufällige Flurwächterhütte, davor paffte der Flurwächter, ein bejahrter Mann, sein Gesicht war von Furchen zerschnitten, in seinem ganzen Leben hatte er fünf Sätze gebraucht. Und Peter, der Künstler, traf seine Anordnungen. Herr Schütz nickte, ja, wie sehr hat auch Goethe lebende Bilder geliebt, worauf die traurige Frau Klemm auflachte. Die Flurwächterhütte wurde abgerissen und ein Stück weiter entfernt wieder zusammengenagelt. Der Flurwächter knurrte beleidigt und kreierte mit Hilfe seiner fünf Sätze einen sechsten, damit den Beweis liefernd, dass auch die Sprache unwissender Menschen so erfinderisch sein kann wie die Kunst. Doch er rührte sich nicht vom Fleck, er saß dort, wo er auch bisher gesessen hatte, als würde er an keinerlei erhebliche Veränderung glauben.
Vom Graben aus eröffnete sich nun ein freier Ausblick auf die Unendlichkeit, auf den mit Wolken gepolsterten Himmel und die gelbe Erde. Peter dachte nach. Dann ließ er die Flurwächterhütte an ihren ursprünglichen Platz zurückbringen. Der Flurwächter tat, als würde er die Umgestaltung hinter seinem Rücken nicht bemerken, doch als Salamon ihm eine Flasche in die Hand drückte, nahm er sogleich einen tiefen Zug. Und weil die Witwe, ein deutsches Liedchen summend, sich ein wenig entfernte, plauderte Herr Schütz eilends aus, was er über sie erfahren hatte.
Frau Klemm war in Iserlohn aufgebrochen und über München nach Wien gereist, bis Győr hatte sie das regelmäßig verkehrende Dampfschiff genommen, wenig später dirigierte man sie nach Pest. Frau Klemm hat mir eine ältere Nummer des Iserlohner Wochenblattes gezeigt, Peter nickte, auch ihm hatte sie den Zeitungsbericht vorgelegt. Iserlohn − das war eine angesehene westfälische Industriestadt nicht weit von Dortmund. Laut diesem Bericht hatte die Schlacht von Győr am 14. und 15. Juni 1849 stattgefunden, sie war das blutigste Gefecht der Neuzeit, die zahllosen Schlachten Napoleons, das Blutbad von Leipzig und Austerlitz inbegriffen. Bei Győr, am Ufer von Donau und Raab, verloren 23
000 österreichische und russische Soldaten ihr Leben, auch Schlick und Haynau starben. Zumindest behauptete das die Ausgabe vom 21. Juni! Und wenn der Zeitungsbericht auch nicht ganz genau sein konnte, denn Peter wusste mit Sicherheit, dass Haynau bei Győr nicht umgekommen war, mochte Klemm, der Ehemann der Witwe, dennoch dort den Tod gefunden haben, und dieser Ansicht pflichtete auch Herr Schütz bei. Nun, fuhr Herr Schütz fort, laut den Berichten sind 8000 Ungarn gefallen, doch die Schlacht endete mit der kopflosen Flucht der russischen und österreichischen Truppen. Die österreichische Artillerie wurde vernichtet, die gesamte Munition fiel den Ungarn in die Hände. Die ungarischen Husarenverfolgten die kaiserlichen Truppen bis Wien! Der Alte hüstelte, vielleicht übertrieb die Zeitung. Sicher, ganz so könne es nicht gewesen sein, sagte Peter, der Freiheitskampf sei ja gescheitert, und damals, um den Juni herum, jedenfalls soweit er sich erinnere, verfolgten die Ungarn niemanden mehr, sie wurden eher selbst von allen Seiten herumgehetzt, auch wenn er darüber vergleichsweise wenig sagen könne, denn, wie Herr Schütz wisse, habe er sich damals auf Zsófias Gut in Ostungarn aufgehalten und zwischen Tagelöhnern und Pferdehirten auf den Zusammenbruch gewartet.
In diesem Moment stieß Pietro einen gellenden Pfiff aus.
Délibáb!
So weit das Auge reichte, grenzte ein blaugrauer Himmel an den Horizont, doch plötzlich entfalteten sich in den vibrierenden Schichten der Luft staunenswerte Gebilde. Die am Himmel schwimmenden Wolken türmten sich zu Bergen auf, unzählige weiße Säulen wuchsen empor,
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