Blumenfresser
nachdem Peter sie das erste Mal beehrt hatte.
Peter brachte sein Beileid zum Ausdruck, er bemühte sich, ein bekümmertes Gesicht zu machen, worauf auch die anderen etwas murmelten.
Frau Sperl blickte gedankenverloren in die Ferne und machte etwas an ihrem Haar zurecht.
Sperl war in einer weinseligen Nacht über das eiserne Geländer gepurzelt, er stürzte mehrere Stockwerke hinab, man hatte geglaubt, er habe sich den Hals gebrochen, doch Sperl hatte keinen einzigen Bruch erlitten. Der Unglücksfall ereignete sich in einer kalten Dezembernacht, Sperl war auf den Steinen einfach erkaltet. Der Trunkenbold war hinabgefallen und für immer eingeschlafen. Mit einem weiteren traurigen Lächeln bemerkte Frau Sperl, anscheinend gebe es auch gegen Wunder ein Mittel. Sperl möge in Frieden ruhen, sein Tod sei gnädig gewesen und habe ihm Leiden erspart. So habe sie dann ihren Lebensfaden mit dem jungen Buchbinder verknüpft, der, sicher erinnere sich Peter, im ersten Stock gewohnt und viel gesungen habe, ein braver und stiller Mann, ein wirklich guter Mensch.Ja, Gott möge ihn segnen, auch ihn gebe es nicht mehr. Der Buchbinder sei verstorben, weil er im Wahnsinn der Revolutionstage, in diesem sinnverwirrenden Tumult seinen Zylinder gegen einen Carbonaro-Hut getauscht, na, und eine Pepitahose angelegt habe.
Pepita?!
O ja, ob Peter etwa vergessen habe, wie sehr die grässlichen Wiener Rebellen, Frau Sperl senkte ihre Stimme, für Pepitahosen schwärmten?! Der Buchbinder, er habe Johann geheißen, sei Revolutionär geworden und in den ersten Tagen der Zusammenstöße neben dem Dom ums Leben gekommen. Ihm sei ein Auge ausgeschossen worden. Eine Woche habe er leiden müssen, ach, wie viel Blut ihm aus dem Ohr geflossen ist!
Peter nickte wortlos, der armer Buchbinder.
Und auch mein Sohn ist gestorben, sagte Frau Sperl unvermittelt, und diese Mitteilung ließ die Freunde, die bis dahin nicht ruhig hatten sitzen können, auf einmal erstarren, nicht einmal Somnakaj holte Atem, Salamons Wimpern glänzten schwarz, und Peter spürte, dass man jetzt etwas sagen musste.
Er war ein kluger Junge, bemerkte er und wurde auf der Stelle rot. Wie konnte man so einen Schwachsinn von sich geben?!
Meinen Sie?, Frau Sperl sah ihm ins Gesicht.
Ich verstehe nicht, Peter schluckte, was für ein Unglück einen … einen so begabten und klugen Jungen … das Leben gekostet haben könnte?! Peter senkte den Kopf, offenbar würde er gleich losbrüllen.
Mein armes, unschuldiges Kind hat von klein auf in einer Privatschule gelernt. Und das Schönste kam dann, er trat in den Dienst des Kaisers. Und ihr … ihr, die Ungarn habt ihn umgebracht!
Ja?!, hüstelte Peter.
Ja, sagte Frau Sperl traurig.
Ich bin Italiener, murmelte Pietro.
Und ich Jude, seufzte Salamon.
Somnakaj sagte nichts.
Wie ist es geschehen?, fragte Peter unwillkürlich und hob die Hand, die anderen sollten nicht wagen, den Mund aufzumachen.
Er wurde ermordet. Erwürgt, ans Kreuz geschlagen!
O Gott, wie schrecklich, flüsterte Peter, dann seufzte er tief, so unwirklich war das Ganze.
Es ist in Ihrem schrecklichen Vaterland geschehen, flüsterte Frau Sperl, und in ihrer Stimme war kein Vorwurf, eher schon etwas wie Wahnsinn. Peter meinte einen fürchterlichen, selbstsüchtigen Willen zu spüren, den Willen, alle Schicksalsschläge um jeden Preis zu überleben.
Was war der Beruf Ihres Sohnes, Frau Spe…?
Er war Polizist! Kommissar!, rief sie aus.
Kigl erhob sich zögernd, doch Salamon zog ihn rasch zurück auf das Sofa.
Es … es tut mir sehr leid, murmelte Peter und sah Kigl an, der sich den Kopf kratzte, wie einer, der aufwachen will. Ach, nur keinen Skandal!
Ganz unerwartet begann sie zu kichern, die Flämmchen des Irrsinns brachten ihren Blick zum Glänzen. Nein, ihre Lebenslust sei keineswegs verraucht, Peter sehe ja, welche Verwandlung sie durchgemacht, wie sehr sie sich verändert habe, und weil er heftig nickte, leuchteten ihre Augen abermals auf, und es konnte kein Zweifel daran bestehen, was es zu bedeuten hatte, als die braune Iris ins Grünliche überging und die Handflächen sich langsam auf die Schenkel senkten.
Herr Schön, ich heiße übrigens Kornelia!
Nennen Sie mich von nun an immer Kornelia!
Sie sagten Kornelia, Frau Sperl?!
Es gibt keine Frau Sperl mehr, da es auch einen Sperl nicht mehr gibt, Herr Schön! Jetzt gibt es nur noch Kornelia!, und Frau Sperl stand entschlossen auf und gab damit zu verstehen, dass die Konversation beendet war, sie zeige
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