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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Glocken läuteten. Sie war allein, ganz allein. Sie konnte sich an niemanden wenden, es niemandem sagen, niemand nahm sie in den Arm, niemand hielt sie fest, damit sie nicht hinstürzte. Nein, das ist nicht möglich, schüttelte sie den Kopf, ein schauderhafter Knödel quoll in ihrer Kehle, nein, nein, nein, das ist nicht möglich. Ein Irrtum. Ein Missverständnis. Lüge, schlechter Scherz, schändlicher Schabernack.
    Jemand winselte leise aus ihrem Mund.
    Es war kein Irrtum.
    Die Kinder hatten im Hof gespielt, wo sie einander in Sicherheit nachlaufen und knobeln konnten, drinnen, im Hof des Landhauses, doch weil die Treiber wieder unachtsam und vielleicht betrunken gewesen waren, verirrte sich die Herde hinein. Ach, es stürzte auch ein Bienenkorb um! Die Kinder spielten bei den Blumen Verstecken, beim Rosengarten, wo Löwenmaulund Fingerhut aufgeblüht waren und der Efeu den Holzrahmen schon überwachsen hatte. Die Herde! Diese fürchterliche Herde! Man hätte nicht so höllisch mit der Peitsche knallen, nicht so herumschreien und pfeifen und jammern dürfen! Wer hat denn den Bienenkorb mitten im Hof stehengelassen?! Ach, die Kinder haben doch auch gekreischt. Ja, davon waren die Tiere ganz wild geworden, sie liefen im ganzen Hof herum, machten eine Runde, wirbelten den Staub auf, benagten einige Blumen, fraßen den Zierkohl an, schließlich trabten sie zum Tor hinaus, und es wurde still. Und die Kinder schluchzten in die Stille hinein, der Staub nieselte silbrig, das zornige Summen der Bienen entfernte sich. Ein plötzlicher Windstoß fächelte wie ein riesiges Laken und hatte auch schon den Staub aus dem Hof vertrieben. Jetzt erst sahen sie den Kleinen daliegen, mit dem Holzhusaren zwischen den Fingern, er schien zu schlafen. Sein Mund war voller Blumen, Rosenblüten und Kelchblätter!
    Blumen essen diese elenden Knirpse, wo sie noch gar niemand sind?! Wie können sie es wagen?! Woher nehmen sie den Mut, im Blumengarten zu naschen, wo sie doch noch solche Däumlinge sind?!
    Na, mein kleiner Miklós, mach keine Dummheiten!
    Spuck die Rose aus, die sind nicht zum Essen!
    Steh schön auf, nein so was! Mein kleiner Miklós, du brauchst keine Angst zu haben! Die bösen Tiere sind weg, die brüllende Herde, die zornigen Bienen sind fortgeflogen!
    Kleiner Miklós, kleiner Miklós!
    Kleiner Miklós, steh doch endlich auf, genug von dem Theater!
    Himmel Arsch und Zwirn, wird’s bald, steh schon auf!
    Die Nachricht war, dass man den kleinen Jungen in einem Eissarg heimbringe, zwischen Eiswürfeln, in einem offenen Sarg, damit der Himmel ihn die ganze Fahrt über sehen kann und sich schämt, was er getan hat. Der gute Berger wird alles in die Wege leiten. Herr Berger ist unterwegs, er kommt bereits mit dem kleinen Körper flussabwärts und bringt auch Zsófia mit,die er ansieht wie eine Göttin. Das Eis im Sarg schmilzt, Wassertropfen sammeln sich auf dem Schiffsdeck. Doch sie trocknen natürlich rasch. Neben ihnen eilt das Ufer dahin, das Blassgrün der Bäume, die giftigeren Schwaden der Weiden, das Leben. Der kleine Miklós schläft, die Theiß wiegt ihn.
    Nimmt wirklich Herr Schütz ihren Arm, und stützt dieses Aas Zsófia sie von der anderen Seite?! Sie sind es, sie! Ein Ungeheuer von einer Frau, ihre Hornviecher haben das Kind umgebracht!
    Ich hasse dich, flüsterte sie Zsófia zu, ich hasse dich!
    Ich verstehe, Klara, ich weiß nicht, was ich sagen könnte.
    Du verstehst?! Versteh nicht! Was willst du da verstehen?!
    Sie schweigen, Herr Schütz atmet hörbar wie ein alter Hund, wie viele Weiden neigen sich über sie, das Grün wogte und toste, wie viel mörderischer Efeu umrankt die schwarzen Stämme der Bäume! Es riecht nach Talg. Es riecht nach Kränzen. Der Friedhofsbrunnen quietscht, der Eimer klappert, seine Kette rasselt, schillerndes blaues Wasser wird aus der Tiefe, aus dem Nichts heraufgezogen. Die kleinen Friedhofsblumen brauchen Wasser, sie müssen gegossen werden, aber natürlich! Die Sträuße brauchen Wasser, sie sollen nicht dürsten, die Grabhölzer auf den schrecklichen Haufen, den furchtbaren Hügelchen sollen sich hübsch machen!
    Sie stehen am Grab, auch sie sind gestorben.
    Die Tränen brennen in Klaras Augen, sie sieht den Namen gar nicht.
    Steht dort Miklós Schön?
    Ja, murmelt Herr Schütz, sicher steht das dort.
    Sie sieht den Namen nicht, nein, sie kann nur ablesen, dass er sechs Jahre gelebt hat! Er hat sechs Jahre gelebt!
    Und sie hört noch ihre eigene Stimme, wie sie flüstert,

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