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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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musterte ihn aus der Nähe, beschnupperte ihn, ob er auch alles verstanden hatte. Zu vieles hatte er ihm gesagt, ihm viele Aufgaben übertragen, das war nicht zu leugnen. Auch ihm hatte man seinerzeit in Kosovo Polje zu viele Ratschläge ins Ohr gebrüllt und gejammert, und nicht weniger oft mussten seine Brüder auf dem Brodfeld wie auch bei Belgrad und Mohács dem Todesröcheln zuhören! Grasmusikanten haben immer massenhaft zu tun und können manchmal gar nicht alles erledigen!
    Schon gut, schon gut, besänftigte Nero das Mädchen, dessen Augen Funken sprühten und das mit seiner kleinen Faust wild herumfuchtelte.
    Genug jetzt!, knurrte der Grasmusikant, doch er grinste schon breit. Das Vögelchen gefiel ihm, sein stoppeliges Kinn kribbelte, wenn er nur einen Blick auf sie warf. Und was geschehen war, gefiel ihm auch, denn er hatte seinen Nachfolgergefunden, und was in naher Zukunft winkte und lockte, gefiel ihm natürlich ganz besonders, Nero erwog nämlich eine Heirat, und dieser Plan war kein Geheimnis, viele wussten schon davon, krumme Bäume, Gräser, der Wind, die Erde, der Himmel.
    Der Grasmusikant stand auf, der Grashalm in seinem Mund zuckte.
    Ich gehe, erklärte er. Wir reden noch, wandte er sich an den Burschen, morgen oder in hundert Jahren. Dann machte er sich auf den Weg. Er schritt über Tote und Pferdekadaver hinweg, bis der schwarze Vorhang der in Dunkelheit gehüllten Weiden seine Gestalt verschlungen hatte. Der blasse junge Mann blieb noch bei dem Zigeunermädchen, das nur die Stirn runzelte und sich die Seite kratzte. Sie sah in die Luft, als wäre ihr der Weltsplitter ins Auge geraten, als verstünde sie weder Leben noch Tod und auch nicht, dass beide sich zuzeiten aneinanderklammerten und tanzten, ohne Ende tanzten. Kein Zweifel, jetzt war sie erschrocken. Sie zitterte richtig.
    Dann bist du jetzt gar nicht gestorben?, fragte sie schließlich.
    Doch, sagte der Bursche nachdenklich, er ließ sich auf die Erde nieder, ein Grashalm hing bereits in seinem Mund. Er zog die Beine an, ein Streifen Blut lief ihm aus dem Ärmel auf die Hand.
    Der grässliche Mann hat gesagt, er hätte dich getötet, beharrte das Mädchen.
    Aber ich bin nicht tot, lächelte der Bursche, er nahm den Grashalm aus dem Mund, würgte, und schon zappelte der Tulpenfisch auf der versengten Erde.
    Fass ihn nicht an!, warnte er sie.
    Starr vor Schreck stand sie da, von solchen Schreckensdingen hatte sie schon oft gehört. Der Todesfisch war rot wie eine Tulpe, der Tod hatte eine rote Mütze und rote Stiefel. O weh, sie fürchtete sich sehr, ein gelber Saft floss ihr den Schenkel hinunter. Dann ließ sich der Bursche auf den Rücken fallen und schloss die Augen.
    Schläfst du?, fragte sie bebend.
    Der Bursche antwortete nicht, der Grashalm wippte wieder zwischen seinen Lippen.
    Na sag schon, schläfst du?!
    Ich schlafe nicht, ich bin nur ermordet worden.
    Du hast mir eine Wunde versprochen, rief sie zornig aus, als wäre sie im Handumdrehen hereingelegt worden.
    Und wenn schon!
    Gib sie mir, oder ich verfluche dich!
    Nanu, du willst einen Toten verfluchen?!
    Dem Fluch ist es egal, ob der Verfluchte lebt oder nicht.
    Na, und wann habe ich die Wunde versprochen?
    Als du in unserem Lager warst.
    Tatsächlich, ich bin dort gewesen, aber noch einmal setze ich mich nicht an euer Feuer!
    Du bist tot, ach, du bist tot!, flüsterte Somnakaj, sie hörte Zischlaute und schnelle Befehle, denn inzwischen hatten sich die Zigeuner auf das Schlachtfeld geschlichen und rafften eilig alles Bewegliche zusammen, Kleider, Eisen, aus Gürteltaschen gefallene Andenken.
    Nein, ich bin nicht tot, sagte der Bursche. Die Augen öffnete er nicht mehr. Gleich würde der Abend sich über sie wälzen und sie bedecken wie ein mächtiger Bruder. Das Mädchen bemerkte die Heckenrose neben seinem bleichen Gesicht und griff danach. Dann entdeckte sie die kleine, rote Blüte am Hals des Toten. Auch die konnte man ja anfassen! Auch diese Blüte konnte man abreißen. Und Somnakaj tat es, denn sie wusste, dass sie ihr zustand, dass es nun ihre Wunde war, sie hatte sie empfangen, als Hinterlassenschaft, und sie durfte mit niemandem darüber sprechen. Zumindest nicht mit jemandem, der diesen Bleichgesichtigen liebte.
Die Geburt des Wahrhaftigen
    Am Morgen roch es nach Rauch und immer noch nach Krieg. Wurzelmama wartete südlich der Furt von Újszeged. Weiter oben wurden schon die Massengräber ausgehoben, eigentlich war es eine begnadete Arbeit, wer sie verrichtete,

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