Blumenfresser
fürchte dich vor nichts, mein Söhnchen, in dieser Gegend werden arme Kinder auch im Grab erwachsen!
Die Ankunft der Zigeuner
Eine Nachfolge wird geregelt
Die sich dort am Rande der Lichtung unterhielten, hätten Menschenwesen sein können, aber sie waren bereits mehr als nur das. Es dämmerte stark, und wenn auch die Schlacht in Nah und Fern noch weiterging, so verstummten schon die Kanonen, nur noch vereinzelte Schüsse und verirrte Schreie klangen herüber. Man schrieb den fünften August des Jahres 1849. Sie befanden sich unweit des vom Unterholz verborgenen Zigeunerlagers, und vorläufig taten sie so, als bemerkten sie das Mädchen nicht, welches sie hinter den Sträuchern mit glühendem Blick beobachtete. Um sie herum lagen Tote − Ungarn, Serben und Österreicher, aber auch einige Italiener. Eine der beiden Gestalten war ein richtiger Hüne, der andere eher ein Jüngling, dünn und blass, als wäre sein Körper aus Wind gemacht. Neugierig musterte der Riese den Blassen.
Glaubst du, ich habe dich getötet?
Ja, ich glaube, du hast mich getötet.
Na so was, wenn du glaubst, ich habe dich getötet, dann liegst du nicht falsch.
Dann ist das jetzt mein Tod? Mein eigener Tod?!
Nein, nicht deiner, der Riese zuckte die Achseln, als würden sie über Nichtigkeiten schwatzen.
Wenn es nicht mein Tod ist, was dann?!
Worte, die Gedanken anderer, das sind nur Geschichten, Nebelschwaden, das ist die Sprache, das Schicksal, von dem jedermann teelöffelweise nimmt! Das sind nächtliche Schreie in der Puszta, längst gehören sie niemandem mehr, doch das Sternenlicht lassen sie immer noch aufglühen! Darin, in diesem Schreien und Flüstern, lebst du weiter! Während du die Menschen siehst, wie sie zur Arbeit oder zu ihren Vergnügungen laufen, sich zuBegräbnissen schleppen, mit geschminkten Gesichtern feiern, sitzt du am Grabenrand und musizierst für sie. Frösche, Brennnesseln, Mohnarmeen helfen, der Affenbrotbaum spielt mit, ich weiß, den hast du immer gemocht.
Aber ich kann nicht so spielen, ich kann nicht so Musik machen wie du, Nero!
Natürlich nicht, das kann niemand! Meine Musik ist die wundervollste auf der Welt! Ich habe gesucht, doch ich habe keine gefunden, die meiner ähnlich wäre. Das Gesicht des Riesen verdüsterte sich.
Zweifellos bedauerte er aufrichtig und von ganzem Herzen, dass er der beste Grasmusikant der Gegend, vielleicht sogar auf der ganzen Welt war. In der Nähe knackte ein Zweig, und Nero Koszta platzte der Kragen; die ganze Zeit schon fühlte er sich belauscht.
Komm sofort heraus!
Heraus mit dir, habe ich gesagt!
Ein junges Mädchen steckte den Kopf aus dem Strauch, es war Somnakaj, das Zigeunermädchen.
Fällt mir gar nicht ein, am Ende beißt du mir noch in den Bauch!
Sogar in deinen dürren Hintern beiße ich dich, wenn du nicht sofort herkommst!, drohte Nero, und man sah, dass er es sehr ernst meinte. Er hatte schon auf Mädchenbäuchen zu Abend gegessen, somit war es besser, wenn Somnakaj gehorchte. Sie kletterte aus dem Unterholz und näherte sich widerwillig, der dürre Hintern hatte sie schon sehr gekränkt. Dürr war das Hirn dieses Idioten, aber nicht ihr Hintern!
Du lauschst, Zigeunerspatz?!
Na und wenn?! Wenn ich ein Zigeunerspatz bin, dann bist du Graskacke! Graskacke, Graskacke! Und sie spuckte einen schön glänzenden Qualster.
Wenn man dich über das Schicksal von dem da befragt, was würdest du sagen?, knurrte Nero Koszta zufrieden und wies auf den blassen Burschen.
Ich flüstere, wispere immer nur die Wahrheit!
Und was ist diese Wahrheit, Spatz?
Was ich flüstere, wispere ich nicht, was ich wispere, flüstere ich nicht!
Na schön, du bist frech, jetzt gibt es kein Pardon mehr, ich beiße dich, auffressen werde ich dich!, brummte Nero und ging auf das Mädchen zu.
Dass du ihn umgebracht hast! Sein Blut vergossen hast! Das ist die blütenreine Wahrheit!, kreischte der Zigeunerspatz.
Der gewaltige Mann lachte wie ein zerbeulter Blecheimer, ich sehe, du hast keine Angst vor deinem Schatten, und außerdem hast du Verstand. Er wandte sich an den Burschen.
Wenn du auch das Grasspiel nie so beherrschen wirst wie ich, irgendwie Musik machen wirst du schon lernen! So einen Grasmusikanten wie mich wird es nicht mehr geben, doch das hindert dich nicht, selbst einer zu werden! Ich sage nur, pass auf Struwwelmadonna auf! Und halte Wurzelmama, halte die ganze illustre Gesellschaft zurück, für sie bricht eine bittere Zeit an, sie werden fortgehen!
Nero Koszta
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