Blut & Barolo
von Giacomos Lebensmut. Es war nur noch genug übrig, um sich ein letztes Mal zu wenden und die Zähne in die sehnige Hand zu schlagen, welche ihn mit sich zog.
Doch nichts geschah. Der Griff lockerte sich keinen Zentimeter. Die Finger mussten vor Kälte längst jedes Gefühl für Schmerz verloren haben, seine durchbohrenden Zähne machten keinen Unterschied mehr.
Dann sah er Amadeus. Er konnte ihn wirklich sehen!Das Sindone in seiner Schnauze, flatternd wie eine Fahne. Kein Leuchten ging von dem Leinenstoff aus, doch er konnte die Konturen des Tuches in der Dunkelheit ausmachen. Giacomo verstand es nicht. Lebte er überhaupt noch? Der Pharaonenhund schien nicht mehr zu wissen, wo oben und unten war, seine Augen suchten in der Düsternis nach einem Halt.
Dann löste sich die Hand mit einem Mal, wie unter Krämpfen. Giacomo glitt sogleich mit starken Stößen seiner Läufe an die Oberfläche. Denn jetzt hatte er wieder ein Ziel. Er musste Amadeus retten. Dafür brauchte er Sauerstoff in sich. Unmengen davon.
Doch zurück an der Luft überschlugen sich die Ereignisse. »Amadeus ist hier. Unter dem Eis!«
»Das ist zu dick, da kommt er niemals allein durch. Wir müssen ihm helfen!«
Giacomo sah Hunde so wild kratzen, als sei ihr Lieblingsknochen im zugefrorenen Fluss eingeschlossen.
»Jetzt ist er hier! Er treibt auf die Brücke zu. Da ist das Eis viel dicker.«
»Seine Beine, sie bewegen sich nicht mehr!«
Giacomo wuchtete sich aus dem Wasser, schrappte über die glatte Fläche bis zu den anderen Hunden und erblickte Amadeus unter der Eisdecke, die Augen so starr, als seien sie selbst längst erfroren, mit seinem Maul immer noch das Sindone haltend. Giacomo kratzte nicht, er sprang in die Höhe und ließ sich mit voller Wucht auf das glasige Weiß fallen. Es knarzte kurz, die Erschütterung setzte sich wie ein Gongschlag fort, doch nichts zerbrach.
Amadeus würde sterben, das Sindone forttreiben, irgendwo zu Boden sinken und verrotten. Das hatte sein Plan nicht vorgesehen.
Der Pharaonenhund war nun fast unter der Brücke angelangt.
Doch dann kam die Rettung. Und sie kam von oben. Der alte Trüffelhund hatte bereits einiges vom Himmel fallen sehen, neben den üblichen Verdächtigen wie Schnee, Hagel und Regen auch Dreck, den Kinder auf ihn warfen, einen Mülltonnendeckel, den ihm ein Bäcker hinterherschmiss, nachdem Giacomo ein herrlich frisches Panettone stibitzt hatte, sogar einen Schwarm Sternschnuppen in einer unerträglich heißen Sommernacht hatte er erleben dürfen, doch ein herabstürzender Himmelskörper wie dieser war ihm niemals zuvor untergekommen.
Er brach durch das Eis.
An genau der richtigen Stelle.
Das Geschoss war niemand anderes als der alte dahinsiechende Pharaonenhund aus den Giardini Reali. Er holte seinen Sohn aus der Tiefe. Niemand anderes rührte sich – was Giacomo stinkwütend machte.
»Holt sie raus, ihr elenden Vollidioten, sonst beiß ich euch allen die Ohren ab! «
Das war der Weckruf, den sie gebraucht hatten.
Pfoten schlugen ins Wasser, Schnauzen tauchten hinein, zogen Amadeus und seinen Vater heraus. Zwischen den Zähnen des jungen Pharaonenhundes klemmte immer noch das heilige Tuch, vollgesogen und schwer. Kein Atemhauch entwich seinem Maul, der Bauch war flach und leblos. Auch der Vater des Toten konnte sich nicht mehr bewegen, seine Beine standen in falschen Winkeln ab, mussten beim Aufprall sämtlich gebrochen sein.
»Wickelt Amadeus in das Sindone ein. Schnell!«, rief der schwerverletzte Pharaonenhund den Umstehenden zu. »Aber es ist nass«, wandte Giacomo ein.
»Es ist das Tuch des Herrn!«
Sie drapierten es über Amadeus, doch das reichte dessen Vater nicht, der Leib sollte komplett eingehüllt sein. Und so geschah es dann auch. Die meisten Hunde nahmen wederdas Blaulicht wahr noch all die Menschen auf der Brücke und am Ufer, das ganze Tohuwabohu. Nur Giacomo tat es, und er wusste, wer ihm nun helfen konnte und ebenfalls klaren Geistes war. Zumindest auf eine spezielle Art und Weise.
»Los, ihr Dachshunde, bringt die Leiche fort. Schnell, sie kommen!«
»Verdammich, ja!«
Wo die kleinen Hundeschläuche vorher gewesen waren, keiner wusste es, doch nun liefen sie alle auf das Eis, es rührte sich kein bisschen unter den leichten Vierbeinern. Schnell schulterten sie den leblosen Amadeus und rasten in ein nahes Rohr, aus dem dampfend Abwasser in den Fluss sickerte.
Als die ersten Fotografen eintrafen und das Blitzlichtgewitter losging, waren längst alle
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