Blut & Barolo
für sich getan, Giacomo. Nur für sich.« Es war Mario, er sprach in Richtung Eis, auf das er eine Hand gelegt hatte und sie trotz der Kälte nicht mehr fortzog. »Wenn ich weg bin, wird er meinen Posten erhalten. Ich stand ihm schon lange im Weg. Gianluca ist der Kronprinz des Bürgermeisters. Nun bekommt er, was er immer wollte – und worauf er sonst noch über fünfzehn Jahre hätte warten müssen. Du warst nur eine Schachfigur, Saada. Ich hätte dich tatsächlich nicht gehen lassen, aber nur weil ich dich liebe.« Er legte auch seine zweite Hand flach aufs Eis.
»Stimmt das?« Saadas Stimme wanderte auf dem schmalen Grad zwischen Wut und Hoffnung.
»Das ist doch jetzt gar nicht wichtig«, antwortete Gianluca.
»Ich will es wissen! Ist es wahr?«
»Da können wir später drüber reden.«
Saada griff sich seinen Kopf und hielt ihn bebend in den Händen. Gianluca lächelte entschuldigend.
»Wie konnte ich nur so blind sein? Du hast es gar nicht für mich getan! Du hast mich die ganze Zeit belogen.« Sie kratzte ihm mit den Fingernägeln durch das Gesicht wie eine Katze. Ugo bellte von seinem Ast aus zustimmend.
»Lass mich doch in Ruhe!« Gianluca hielt ihre Gelenke fest.
»Ich hasse dich. Ihr Männer seid alle ... «
»... Männer. So einfach ist es.« Er zog sie an seine Brust und drückte ihr einen Kuss auf die geschlossenen Lippen. »Und ich mag dich wirklich, wir haben eine Zukunft.« Dann wandte er seinen Kopf wieder zu Giacomo. »Und jetzt her mit dem Sindone! «
»Zeig es ihm«, sagte die Signora, und Amadeus verstand. Doch nur zögerlich trat er mit dem Sindone auf das Eis, wo er es vorsichtig mit der Schnauze ausrollte.
»Das ist es wirklich«, brachte Mario hervor. »Unverkennbar! Selbst im Dunkeln. Es ist wunderschön.«
Gianluca stürzte sich vor, um Amadeus das Tuch zu entreißen. Doch gerade an den westlichen Seiten, die lange von der Abendsonne beschienen worden waren, hatte die Wärme Spuren hinterlassen, war das Eis brüchig geworden. Die dünne Kruste vertrug es nicht, wenn jemand mit aller Gewalt daraufsprang.
Das Eis brach ein.
Doch nicht nur an dieser Stelle.
Risse jagten von dort wie Blitze in alle Richtungen des Eises, ließen den vermeintlich festen Boden unter Amadeus und dem Sindone verschwinden. Giacomo stand auf festem Grund, doch er erschrak so sehr, dass er sein Gleichgewicht verlor und ebenfalls in die eiskalten Fluten fiel, wo er augenblicklich versank. Und für einen Moment, nur einen kurzen, dachte Giacomo daran, nicht zu strampeln, sondern einfach zu versinken und die Kälte sein Herz zum Stillstand bringen zu lassen. Er hatte Gutes getan, der Himmel musste nah sein, Ströme von Barolo und melonengroße Trüffel warteten auf ihn. Doch seine Beine wollten strampeln, seine Lunge atmen, und so stieg er von der Finsternis des Wassers wieder in die der Nacht auf. All die Ruhe der Tiefe wich dem Tumult an der Oberfläche.
Gianluca versuchte panisch, Halt zu finden, doch riss das Loch dadurch nur weiter auf, Amadeus holte Luft und tauchte nach dem Sindone, das ihm entglitten und nun von der Strömung des Flusses erfasst worden war. Überall bellten Hunde und heulten Wölfe, doch keiner traute sich näher heran, Mario und Saada robbten auf dem Bauch zum rettenden Ufer. Dann schlug etwas neben Giacomo ins Wasser.
Niccolò!
Und noch ein weiterer Hund, doch den konnte er in der Dunkelheit nicht ausmachen, spritzend tauchte dieser sogleich unter.
»Was um alles in der Welt machst du hier?«
»Ich rette dich!« Wie wild strampelte das kleine Windspiel, sein Pullover aus Teddybärenfell hatte sich sofort vollgesaugt mit dem eisigen Wasser und zog ihn nun unerbittlich nach unten.
»Geh sofort wieder raus! Los!«
»Nicht ohne dich.«
»Ich bin ein Lagotto Romagnolo, ein Wasserhund, ein Lagunenjäger. Mein Fell ist dicht und warm. Und du? Du bist ein Windhund – und das hier ist verdammt noch mal kein Wind!«
Giacomo tauchte mit der Schnauze unter Niccolòs Bauch und riss den Kopf dann mit aller Kraft hoch, den Freund aufs sichere Eis wuchtend.
»Wärm dich an Canini, du dummer Kerl!«
Giacomo blickte sich um. Wo war der Mensch namens Gianluca? Er war einfach verschwunden. Plötzlich fuhr ein Arm aus dem Wasser und krallte sich in seinem Fell fest, riss ihn hinunter in die Tiefe. Die Luft in Giacomos Lunge entwich ruckartig, all sein Strampeln half nichts. Er hätte nicht an den Tod denken dürfen, nicht an den Himmel. Die Dunkelheit des Wassers verschlang immer mehr
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