Blut & Barolo
aneinander parkten, als wollten sie Nachwuchs zeugen. Als sie an einer verlassenen Pizzeria vorbeikamen, deren Glasfront durch die Dunkelheit aussah wie schwarzer Turmalin, bat Amadeus ihn, stehen zu bleiben. Eigentlich befahl er anderen Hunden nur noch. Doch es war schön, jemanden bitten zu können. Er hatte sich danach gesehnt. Das Räderwerk seiner Macht lief mittlerweile wie von allein, immer mehr Hunde folgten ihm, suchten nach Spuren des Sindone und rekrutierten weitere Artgenossen. Die meisten seiner Anhänger kannte Amadeus selbst nicht einmal, und auch Tommaso hatte mittlerweile den Überblick verloren. Amadeus hatte einen Dominostein umgeworfen, und nun war alles Weitere nicht mehr aufzuhalten. Ein Meer aus Hunden schwemmte durch die Stadt, doch bislang hatte es nichts vom Grund heraufbefördert.
»Geht es dir gut, Ugo? Du bewegst dich so komisch, irgendwie gar nicht ...«
»... wie ein Hund? Bin ja auch keiner.«
Ugo sprang auf das Geländer, welches die Gäste der Pizzeria beim Herausgehen davor bewahren sollte, schnurstracks auf die Straße zu laufen. Anscheinend wurde genug Wein ausgeschenkt, um solches Verhalten zu begünstigen. Der alte Hund balancierte nun darauf. Die Schwerkraft ließ er für einen Moment außen vor.
»Ich bin eine Katze«, sagte er.
»Eine Katze?«
»Ja, also, bin von einer gesäugt worden, als Welpe, habe alles von ihr gelernt. Als Katze, auf der Fattoria gab es keine, die waren nicht da, also Hunde. Nur Mama Chiara. Jetzt bin ich eine seltene Katzenrasse.«
»Gibt’s doch nicht!«
»Mama Chiara nahm sich zweier Findelkinder an. Der andere, ich nenn ihn Bruder, obwohl er ein Spitz-Schäferhund-Mischling ist, sieht aus wie ein Fuchs, täuschend echt, du müsstest ihn sehen, lebt jetzt irgendwo in den Wäldern, und mag, also, keine Hunde mehr, übelgelaunter Kerl!«
»Kannst du auch ... maunzen?«
Ugo demonstrierte es. Aus dem großen, unförmigen Körper drang ein feiner, ebenso vorwurfsvoller wie überheblicher Laut. Genau wie bei einer echten Katze.
Was für eine Welt! Eigentlich, dachte Amadeus, hätte er sein ganzes Leben auf dem polierten Stein vor dem Duomo verbringen sollen. Je weiter er sich von dort entfernte, je tiefer er in die Stadt vordrang, desto fremder wurde sie. Es war, als erschienen jede Nacht neue Sterne über ihm, als sei dies nicht mehr der Himmel seiner Kindheit. Das Licht mancher Gestirne brannte so in seinen Augen, dass sie tränten, an anderen konnte er sich nicht sattsehen.
Den Stern namens Ugo begriff er einfach nicht. Trotzdem folgte er ihm jetzt weiter durch Turin.
»Wir sind, du weißt schon, also gleich da, ja, da vorne ist es schon, deswegen ganz leise!«
»Wie eine Katze«, sagte Amadeus zu sich und ließ seinen Blick schweifen. Dieses Viertel der Metropole hatte er noch nie gesehen, die Häuser schienen sich vorzubeugen und ihn spöttisch zu beäugen. »Verrat mir doch endlich, worum es geht. Ich möchte nicht mehr unvorbereitet sein. Nie mehr.«
Ugo blieb für die Antwort stehen. »Es ist Nara. Etwas, also wie soll ich, nun ja, stimmt nicht mit ihr.«
»Ist sie krank?« Mit einem Mal fühlte sich Amadeusseiner Meute wieder so nah, dass er am liebsten gleich zu ihnen gerannt wäre.
Bis Ugo eine Antwort gab.
»Nein, sie ist verdächtig. Sehr, o ja, sehr verdächtig.«
Nicht seine Großmutter! Sie durfte ihn nicht enttäuschen. Nicht Nara, die mehr eine Mutter gewesen war als seine leibliche. Stürzten denn alle Säulen seiner Welt ein? Stand ihm Gott nicht mehr zur Seite?
Die gleiche Frage stellte sich Canini etliche Kilometer entfernt ebenfalls. Die Wellen schlugen so hoch, als kämpften sie gegen die Luft. Doch sie waren nicht das Schlimmste. Das ganze Meer schwankte, als sei es übelst betrunken, und ließ das kleine Ruderboot auf sich torkeln. Canini kauerte auf den Holzplanken, sie waren klitschnass vom hochspritzenden Wasser, das Fell der Spanielhündin war längst durchtränkt. Und die Streicheleinheiten Marios beruhigten sie überhaupt nicht. Warum nur war er mit ihr aufs Meer hinausgefahren, der Sturm hatte sich doch angekündigt! Als sie das kleine Ruderboot bestiegen, war der Himmel bereits wie verdreckt, grauer als der schmutzigste Schnee, und inzwischen raste dunkler Wolkenmatsch über den Horizont. Doch Mario hatte ohne hochzublicken seine Angel ins Boot geworfen und Canini hineingesetzt, obwohl sie sich wehrte und bellte, bevor er dem Bug einen kräftigen Schubs gab und auf die Planken sprang.
Die
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