Blut & Barolo
gurrenden Tauben zu füttern, doch sie hatte nichts für die Vögel bei sich. Sie saß dort und schaute, die Hände im Schoß gefaltet. Bis der Conte Rosso, Turins gefürchtetster Hundefürst, auf ihren Schoß sprang und sich die spitzen Öhrchen kraulen ließ.
Giacomo spürte die Neugierde wie ein wildes Tierchen in sich toben.
»Bleib du hier«, sagte er zu Niccolò. »Keine Widerworte! Es ist besser so. Halt das Versteck im Blick. Wenn ich gleich zurückkomme, gehen wir zusammen zu Isabella, schauen, wie es ihr geht und wie wir das Sindone am besten zu ihr bringen können. Jetzt gilt es, keinen Fehler mehr zu machen, um möglichst schnell zurück in die sanften Hügel unserer Langhe zu können.«
»Soll ich Daisy und Donald suchen? Vielleicht haben sie etwas herausgefunden.«
»Nein, du bleibst hier. Ich bin gleich zurück. Da muss ich jetzt hin. Lass mich einfach.«
Etwas zog ihn wie ein Schiffstau. Giacomo pirschte sich heran, Schutz hinter blattlosem Buschwerk, Stämmen und Mülleimern suchend. Schnell war er so weit herangeeilt, dass er die zärtlich gesprochenen Worte der alten Dame hören konnte.
»Schön, dass du wieder da bist, mein Süßer. Du kommstdie alte Meda gern besuchen, nicht wahr? Es ist immer so nett, dich zu sehen. Du bist mein Augenstern, weißt du das? So treu wie du war niemand in meinem Leben. Du kleiner Räuber hast mein Herz gestohlen.«
Der Conte kläffte freudig und leckte ihr über die Wangen. Nun war nichts mehr bedrohlich an ihm, er benahm sich so überschwänglich wie ein Welpe. Kein Wunder, dass er sich eben so lange umgeschaut hatte. Wüsste jemand, dass er der Conte war, seine Macht wäre Geschichte. Er wurde nun zu dem, wonach seine Natur schrie: ein Schoßhündchen. Und er sah unglaublich glücklich dabei aus. Inmitten der großen, eisigen Stadt hatte der Conte ein wenig Geborgenheit gefunden.
»Morgen komme ich etwas früher«, flüsterte die Frau dem Pekinesen zu. »Meine Schicht beginnt nämlich bereits mittags. Ich bringe dann auch mehr Zeit mit als heute, und wir gehen spazieren, ja? Das Ufer entlang, magst du ja so gerne. Wie schnell du rennen kannst, als wärst du ein Windhund.« Sie versenkte ihr Gesicht in sein Fell.
Giacomos Welt brach in diesem Moment nicht entzwei, sondern setzte sich vielmehr neu zusammen. Es war, als vervollständige sich sein Leben, als fehlte kein Puzzlestück mehr, als wären die scharfen Kanten nunmehr gerundet. Denn er verstand jedes Wort und spürte die Gedanken der Frau, als wären sie so klar wie Gavi di Gavi. Eine – Giacomo traute sich kaum, es zu denken, als würde dadurch alles zerplatzen wie dünnes Glas, das auf Beton schlug – perfekte Verbindung. Obwohl er diese Frau nicht einmal kannte! Giacomo hatte nicht vergessen, wie es war. Nur verdrängt. Sein Trifolao und er, sie waren eine Einheit gewesen, ein verschmolzenes Fabelwesen mit Pfoten und Händen, geschaffen, um die edelste Frucht der Erde zu bergen. Sie waren ein Gedanke gewesen, und es hatte keine Einsamkeit gegeben.
Der im Abendlicht gespenstisch wirkende Spielplatz mit seinem eisigen Sand, der sich so unangenehm in den Pfoten verfing, lag für Giacomo nun wie in gleißendem Licht. Leichtfüßig trat er aus der Deckung und ging auf die Frau zu, welche sogleich den Kopf hob, ihn kurz musterte und dann lächelte.
»Schau, wer dort kommt!« Sie klatschte freudig in die Hände. »Es ist Giacomo. Ich habe viel von dir gehört. Dass du mir mal zuläufst! Du bist ja ein ganz besonderer Lagotto, nicht wahr? Kommst du her zu mir, Großer? Ich würde dich so gern von nahem sehen, denn meine Augen sind nicht mehr so gut, musst du wissen.«
Der Conte erhob sich auf ihrem Schoß, scharfes Knurren erklang.
»Bleib fort, Giacomo! Hörst du?! Die Signora gehört mir. Mir allein! Was brauchst du schon einen Menschen? Du hast deine Trüffel. Verzieh dich. Sofort!«
Doch Giacomo wollte nicht. Der Fund dieser Menschenfrau war so kostbar, eher hätte er eine fußballgroße Trüffel in einem Reisfeld ausbuddeln können. Endlich wieder ein Mensch, der keine unverständliche Hülle für ihn blieb, endlich wieder diese Tiefe. Er trat näher, bis zur Rutsche, die Teil eines knallbunten Piratenschiffes war. Für farbenblinde Freibeuter vermutlich.
»Ruhig, mein Schatz« sagte die Signora zum Conte und wollte ihn wieder streicheln, doch er schnappte nach der Hand, worauf sie ihn von ihrem Schoß hob.
»Du machst alles kaputt!« Der Conte war erbost und jagte unter der Schaukel her zu
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