Blut & Barolo
Giacomo. »Hier hast du nichts zu suchen! Das wird Folgen haben, schreckliche Folgen. Allen Hunden ist es verboten hierherzukommen. Das habe ich bestimmt. Und du? Kommst einfach her, zur Signora. Sie gehört mir, verstehst du, mir, mir, mir!«
»Kein Mensch gehört einem Hund. Und kein Hund einemMenschen. Nicht wirklich. Nicht von innen«, sagte Giacomo und ließ ihn stehen.
Der Conte drehte sich um die eigene Achse, kläffte und versuchte, sich in den eigenen Schwanz zu beißen. »Mir! Mir! Mir!«, rief er immer wieder. »Ich will meinen Willen!«
»Du musst doch nicht eifersüchtig sein«, sagte die Signora. »Eifersucht ist eine schrecklich zerstörerische Kraft, weißt du. Lass den armen Giacomo zu mir kommen, er hat es so schwer zurzeit. Du hast doch ein Herz aus Gold, kleiner Räuber. Deshalb lieb ich dich ja so.«
Der Conte Rosso begriff, dass ihn seine Raserei nur noch tiefer in den Mist hineinritt. Sein Schleifchen hing schon ganz schief zwischen den Ohren, in seinem Fell hatte sich Sand verfangen, den er durch seine wütenden Pirouetten aufgewirbelt hatte. Der Pekinese war nicht so mächtig geworden, weil er dumm war. Er wusste, welchen Kampf es auszufechten lohnte. Diesen nicht. Er begann stattdessen sein Fell zu säubern. Sein Atem beruhigte sich wieder.
»Wer ist sie?«, fragte Giacomo.
»Eine einsame Frau, die mit anderen Menschen kaum zu tun hat. Sie versteht sie einfach nicht. Aber uns Hunde, weil sie Zeit mitbringt und selbst wie eine von uns denkt. Sie ist gern draußen an der frischen Luft, schläft viel und überall, isst gern und viel. Du wirst sie nie wiedersehen, Giacomo. Das befehle ich dir!«
»Ich werde gleich zu ihr gehen.«
»Nur dieses eine Mal. Und dafür stehst du noch tiefer in meiner Schuld. Es ist der letzte Gefallen.«
»Sie scheint in mich hineinzublicken.« Giacomo schaute ihr direkt in die Augen, was er sonst stets vermied.
»Noch etwas, Giacomo: Warst du erfolgreich in Stupinigi?«
»Was meinst du?« Der alte Trüffelhund wollte nicht reden, er wollte nur noch zur Signora.
»Das Sindone, hast du es mitgebracht?«
»Ja, sicher. Es ist jetzt gut versteckt. Niemand wird es finden. Nun lass mich.«
»Du schuldest es mir. Das ist deine Gegenleistung. Das Tuch.«
»Niemals!«
»Das Tuch, oder du stirbst. Niemand betrügt den Conte. Morgen bringst du es mir.«
Giacomo antwortete nicht, denn die Signora hatte die Arme geöffnet, um ihn darin zu empfangen. Und so geschah es nun. Das dreckige Fell, der Gestank der Gosse, all das störte sie nicht. Eigentlich hasste Giacomo jede Zärtlichkeit, doch diese ließ er zu, ohne auch nur einen Moment zurückzuzucken, als ihre Finger die Spitzen seines Fells berührten und sich ihr Gesicht dem seinen näherte.
Die Signora roch köstlich, nach feinster Schokolade, deren Brauntöne von satten Farben durchzogen waren, Aromen von Süßkirschen, getrockneten Pflaumen und gebrannten Mandeln lagen eingebettet darin. Diese kunstvollen Verbindungen konnten nur von erstklassigen Bohnen stammen, die eine Meisterhand zusammengeführt und konchiert hatte. So roch keine Schokolade aus dem Supermercato, selbst nicht die teuerste. Die Düfte lagen tief in ihrer Kleidung. Oder? Giacomo ging näher mit der Nase heran. Nein, sie entstammten der Haut! Jahrelang musste sich die Signora in schokoladengeschwängerter Luft bewegt haben, so dass sie nun selbst duftete wie eine edle Tafel. Oder besser: wie ein ganzer Korb davon.
»Komm mit, Giacomo. Ich will dir etwas zeigen«, sagte sie und stand auf. Giacomo wusste nicht, ob sie es in der Sprache der Menschen oder jener der Hunde getan hatte.
Es war keine Frage der Signora, und Giacomo gab auch keine Antwort. Er ging einfach mit. Denn er glaubte an sie. Mit ganzem Herzen.
Daisy konnte nicht glauben, dass sie sich wieder vor dem imposanten Bau in der Via Giolitti befanden. Nach allem, was ihre Nerven durch die erste Beschattung hatten ertragen müssen. Der Mann mit der Sonnenbrille hatte Donald mit seinem Ledergürtel geschlagen, nachdem er ihn am Wagen erspäht hatte. Zähnefletschend war ihr Bruder zurückgewichen, daraufhin hatte der Mann die Fahrertür aufgerissen und nach ihr gelangt. Sicher hätte er sie auch erwischt, wenn Donald ihn nicht ins Bein gebissen hätte. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit und sie waren fort. Wie knapp alles gewesen war, hatte sie erst danach begriffen.
Und nun waren sie wieder hier. Unter dem Müllcontainer gegenüber seinem Domizil. Vielleicht, weil es
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