Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
– egal, in welche Richtung er auch atmete.
    Weiße Stellwände teilten die Seitenflügel vom Durchgang zu den Gleisen ab. Schon den ganzen Tag über waren keine Bauarbeiter zu sehen gewesen, weder Maler noch Elektriker. Es liefen nicht einmal Ratten herum – denn dafür hätten Menschen etwas Essbares hinterlassen müssen.
    Amadeus hatte Ugo nicht kommen gehört, auch die Leibwache schlug keinen Alarm, doch plötzlich stand der alte Mischling vor ihm. Der Pharaonenhund ließ sich seine Überraschung nicht anmerken.
    »Lange nicht gesehen«, begrüßte er ihn. »Was hast du getrieben?«
    »Tommaso ertragen.«
    Amadeus blickte auf. Der Mischling hatte tatsächlich einen Scherz gemacht.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Ich will es lieber nicht, also, wissen. Vermutlich ein neuer, na ja, für deine Truppen, ein Fleischraub. Er führt viele, und gerne, davon durch. Aber die Menschen, sie werden wütend, ganz schrecklich, auf uns Hunde.«
    »Er hat lange keinen Bericht mehr erstattet. Seit dem Geschehnis mit dem Lagotto-Mischling.«
    »Geschehnis? Ja, nun ja, also, das Wort hätte ich nicht, du wirst schon wissen, was du denkst. Aber auch das mit den Dachshunden, nun ja, das war auch keines, die sind jetzt, du weißt schon, und zwar sehr!«
    »Was meinst du? Werden sie uns helfen? Was wissen sie über das Sindone?«
    Ugo erzählte, lange und umständlich, wie es seine Art war, und Amadeus hörte gut zu und meinte plötzlich, die Dachshunde unter sich zu spüren. Wenn sie sich an ihm rächen wollten, dann würden sie es tun. Seine Feinde wurden mit jedem Tag zahlreicher.
    »Für wen mache ich das eigentlich alles?«, fragte er Ugo, der sich gerade eine Pfote leckte, um sich dann mit ihr über den Kopf zu fahren. Obwohl das Fell danach genauso verfilzt aussah wie vorher, machte er beharrlich weiter.
    »Also für die Menschen, also für die schon mal nicht. Sonst würden sie dich nicht, na, treten und natürlich auch nicht spucken, auf deinen Kopf, das würden sie dann nicht.«
    »Nein.«
    »Dabei ... « Das Wort klang bedeutungsschwanger, als bereite es eine wichtige Antwort vor. Und Amadeus verlangte nach einer. Sein Körper schmerzte noch immer von den Tritten, und seine Seele hatte mehr Beulen als das Moped eines Halbstarken.
    »Ja? Was, Ugo?«
    »Wie bitte? Entschuldigung, hab gerade an den Müll eimer vor dem chinesischen, also dem Restaurant, daran hab ichgedacht. Da sind Sachen drin, wirklich, da weiß man nie, ob – oder auch nicht!«
    »Du wolltest noch etwas zu den Menschen sagen!«, setzte Amadeus nach.
    »Den Menschen? Ach ja, den Menschen! Ich dachte nur bei mir, dass sie es eigentlich sind, also die Menschen, denen das Sindone so viel bedeutet. Komisch, oder? Dass ein Hund ihre Arbeit macht. Finde ich.«
    »Komisch?« Amadeus bewegte das Wort in seinem Maul. Nein, komisch fand er dies alles überhaupt nicht.
    »Die Hunde der Stadt interessiert es ja auch nicht. Allen außer deiner Meute ist der Lumpen egal. Und die hat dich verstoßen.«
    »Ich tue, was getan werden muss!« Der Alte begriff nichts, wie konnte er auch? Ihm war niemals eine Aufgabe solcher Bedeutung anvertraut worden.
    »Das klingt gut, ja, einfach und entschlossen. Du tust, was getan werden muss, klar.«
    »Wenn das Sindone nicht an seinem Platz liegt, ist Turin verloren. Es ist der schützende Mantel dieser Stadt – für Hunde wie Menschen. Auch wenn sie nicht daran glauben – dann glaube ich eben für alle.«
    »Das hast du so schön gesagt. Wirklich. Und nun lass uns, du weißt schon, gehen.«
    »Wieso? Ich darf hier nicht fort. Geh allein, Ugo.«
    »Aber es muss getan werden. Von dir. Glaub mir, ja, jetzt, kannst du ruhig, wirst schon sehen, nicht. Komm mit, ist wichtig, sehr.«
    Amadeus war sich vieler Dinge nicht mehr sicher, doch dass er Ugo vertrauen konnte, daran bestand kein Zweifel. Obwohl Tommaso den alten Streuner damals gezwungen hatte, ihm zu helfen, beschlich Amadeus immer wieder das Gefühl, Ugo hätte sich ihnen eigentlich aus freien Stücken angeschlossen. Warum, wusste der Pharaonenhund nicht.
    Als sie aus dem Hauptbahnhof traten, war es bereits Nacht in Turin. Das Schmelzen von Schnee und Eis stoppte fürs Erste, doch morgen würde noch mehr Wasser die Straßen befeuchten und in die Kanalisation hinabfließen, würde der Stadt die weiße Decke wegziehen wie einem Kind, das endlich zur Schule musste und sich der bösen Welt stellen.
    Ugo sprang behände über Straßengitter und drückte sich zwischen Autos hindurch, die so eng

Weitere Kostenlose Bücher