Blut & Barolo
Zigaretten zu ausgetretenen Stummeln auf dem Boden wurden, gingen die beiden Verkäuferinnen wieder ihrer Wege.
»Ganz großes Tennis, Brüderchen«, sagte Gianluca und klopfte dem Priester auf den Rücken. »Allerdings werden wir jetzt keinen Hund mehr finden. Die sind durch den Lärm alle abgehauen oder verstecken sich. Lasst uns heute Abend wiederkommen. Wenn dieser Giacomo hier seinen Unterschlupf hat, dann läuft er uns irgendwann in die Falle. Geduld ist göttlich.«
Amadeus sah nicht, wie sie verschwanden, sein ängstlicher Blick war einzig auf den Bauzaun gerichtet. Als auf der kleinen Piazza keine Menschen mehr zu sehen waren, lief er zu Nara. Sie war auf einigen durchnässten Kartons gelandet, die ihren Aufprall ein wenig gedämpft hatten, doch das Blut aus ihrem Hals hielten sie nicht auf, unaufhörlich drang es zu beiden Seiten heraus, die Kugel musste den Körper der Großmutter nach Sekundenbruchteilen wieder verlassen haben. Amadeus leckte über die Wunde, als könne er sie auf diese Weise wieder verschließen, doch das Blut strömte weiter.
Aber noch war genug Luft in Naras Lunge, um zu sprechen. Amadeus sah die Erleichterung, als ihre Augen sich an ihm festhalten konnten.
»Du hast mich beschatten lassen, kleiner Amadeus. Du warst immer schon so misstrauisch, deswegen wurdest du ja auch ausgewählt.« Aufgrund der zerfetzten Luftröhre begleitete ein ständiges Pfeifen und Gurgeln ihre Worte.
»Du wirst überleben, Großmutter! Bleib nur still liegen,die Wunde verschließt sich gleich wieder.« Er leckte weiter und weiter, doch es brachte nichts.
»O nein, schon den Mond werde ich heute nicht mehr sehen. Vielleicht nicht einmal mehr den Sonnenuntergang.« Nara konnte die Zeichen ihres Körpers, die Schmerzen und Taubheiten deuten. »Hör mir zu, mein kleiner Amadeus. Ich muss dir noch etwas erzählen, bevor ich fortgehe. Die Menschen eben, sie haben das Sindone gestohlen. Ich habe den mit der dunklen Brille gesehen, wie er nachts samt einer Tasche in den Duomo gegangen ist, und als er wieder heraustrat, beulte sie aus. Ich konnte das Sindone darin spüren.«
»Warum hast du ihn dann nicht angegriffen? Warum mich nicht zu Hilfe gerufen?«
»Weil ich unendlich glücklich war.« Sie schaffte es nicht mehr, den Blick auf Amadeus zu halten, ihre Pupillen schwirrten wie Nachtfalter umher.
»Was redest du da, Großmutter? Bist du schon auf der anderen Seite?« Er stupste zärtlich ihr Maul an. Nara zuckte zusammen und stöhnte unter Schmerzen auf.
»Noch ist ein wenig Leben in mir. Hör mir gut zu, mein Amadeus. Was ich dir jetzt sage, ist sehr wichtig, auch wenn es für dich schwer zu verstehen sein wird.« Sie holte noch einmal tief Luft. »Das Sindone, es ist unser Fluch. Dein Großvater ist daran zugrunde gegangen. Hätte er es bloß nicht aus den Flammen gerettet! Das verdammte Tuch hat mir meinen Gefährten geraubt. Und wir waren nicht die Ersten, die darunter leiden mussten. Wie viele unserer Meute waren dazu verurteilt, ihr Leben auf diesem kalten Stein vor dem Duomo zu verbringen? Allein und einsam. Und unsere Meute musste in dieser Stadt bleiben, die nicht für Hunde erbaut wurde, so viel Stein, so wenig Grün.« Sie schnappte wieder nach Luft, ihre Schnauze erhob sich zitternd, als müsse sie den Atem aus der kühlen Luft beißen. »Erst wennes zerstört ist und nie wieder auftaucht, werden wir alle frei sein. Dann können wir zurück in unsere Heimat! Ich bin diesem gesegneten Mann hinterher, um sicherzugehen, dass er keine Dummheit macht und das Sindone niemals zurückkehrt. Eben habe ich das verfluchte Tuch wieder gerochen. Es ist ganz nah. Wie gern hätte ich es selbst zerfetzt.« Blut rann aus ihrem Maul, färbte die scharfen Zähne rot, nahm ihr die Luft zum Atmen.
»Was redest du da nur?«, flüsterte Amadeus, sich ängstlich umblickend. »Der Schock hat dich um den Verstand gebracht. Gott darf solche Worte nicht hören!«
Nara bäumte sich auf, Wut pulsierte nun in ihren Adern. »Gott? Welcher Gott? Würde ein Gott das alles zulassen? Es gibt keinen, Amadeus. So einfach ist das. Da ist nichts. Ich kenne die Geschichten unserer Vorfahren aus dem Gelobten Land, die den Sohn des Herrn auf seinen Reisen bis ans Kreuz begleitet haben, die vor der Höhle, in der er zur letzten Ruhe gebettet worden war, Wache gestanden und seine Auferstehung erlebt haben. Doch weißt du, durch wie viele Schnauzen diese Erzählungen gegangen sind? Ich selbst habe sie euch Welpen erzählt, und manches
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