Blut & Barolo
schien es aufzusaugen. Nun kam die Wärme endlich auch von innen zurück.
»Mich kaufte er für viel Geld meiner Besitzerin Helen in New Jersey ab, nachdem er gesehen hatte, wie gut wir harmonieren«, erzählte Rory weiter und legte sich auf den Rücken, als kraule ihm jemand den Bauch. »Mit ihr hatte ich tatsächlich eine perfekte Verbindung – und trotzdem hat sie mich hergegeben. So viel zur Treue der Menschen.«
»Aber ich bin dazu gar nicht fähig! Es ist Niccolò, der mit Isabella auf diese Weise harmoniert.«
»Das hat er wahrscheinlich mitbekommen. Er hält immer die Augen danach auf. Wart ihr vielleicht mal im Fernsehen?«
Mehrmals, dachte Canini, wegen all der Geschehnisse um das Dorf Rimella. Isabella hatte ihre Hunde immer stolz den Kameras präsentiert, Niccolò rechts und sie links im Arm gehalten. Sie hatte den Reportern erzählt, wie nah sie sich standen und wie tapfer ihre beiden Lieblinge waren. Canini selbst hatte all die Worte nicht begriffen, doch Niccolò hatte sie ihr übersetzt. Niccolò, den sie so schändlich belogen hatte. Wenn sie ihm doch nur berichtet hätte, dass Giacomo auch in Turin war. Und gemeinsam mit ihm geflohen wäre. Niemals hätte sie die entsetzliche Kälte des Meeres spüren müssen.
Sie hatte all dies hier nicht anders verdient. Wegen ihrer schrecklichen Angst, nur deshalb hatte sie gelogen. Weil sie nicht wollte, dass Niccolò sie alleinließ. Jetzt war sie es. Daran konnte auch dieser alte Zausel von Deerhound nichts ändern. Das gute Fressen lag ihr plötzlich wie Geröll im Magen.
»Woher ...«
»... ich das alles weiß? Ich habe große Ohren.«
»Lässt du mich ... «
»... jetzt auch endlich mal ausreden? Klar, mach ich. Kenne das halt alles nur schon.«
»Warum ... «, sie wartete darauf, wieder unterbrochen zu werden, doch diesmal sagte der Scottish Deerhound nichts, »... bist du dann noch hier?«
»Wo soll ich sonst hin? Ich spiele ihm genug vor, dass er die Hoffnung bei mir nicht aufgibt. Es ist kein schlechtes Leben, aber auch ... «
»... kein wirklich gutes.«
Die Tür wurde geöffnet.
»Canini? Bist du schon wach?« Mario trat ein und lächeltesie an. Er trug einen dicken Frotteebademantel und rubbelte sich die Haare gerade mit einem groben Handtuch trocken. Seine Wangen glühten, das Wasser der Dusche musste heiß gewesen sein. Er fragte sich, ob es diesmal endlich geklappt hatte.
Sie konnte ihn verstehen.
Canini las all seine Gedanken.
Sie hatten eine perfekte Verbindung!
Niccolò kam zu spät. Schon von weitem wusste er es. Der aggressive Geruch einer Hundemeute loderte wie Feuer über den Mauern des Borgo. Die kargen Äste der Eichen, Pappeln und Kastanien sahen mit einem Mal aus wie Leichenfinger, die nur darauf warteten, sich ihre Beute vom Asphalt zu greifen. Graue Wolken schlossen die Sonne aus. Damit verschwand nicht nur die angenehme Wärme, sondern auch die Imbissbesitzer machten Feierabend, und den Joggern konnte deren Weg nach Hause nun ebenfalls nicht kurz genug sein. Es roch nach Hagel, nach spitzen Geschossen, die den Autos noch mehr Beulen zufügen würden. Selbst die Menschen merkten es.
Im ganzen Park war nur ein einziger Hund zu sehen, ein kleiner Pekinese mit prachtvoller roter Schleife, der nun freudig wedelnd auf sein Frauchen zulief, das ihn unter den Vorderbeinen packte, hoch ans Gesicht hielt und ihm unzählige Küsschen aufdrückte.
Es war der Conte Rosso, mächtiger Herrscher über Turin, Schrecken aller Straßenhunde, dem nun ein Glitzerhalsband umgelegt wurde, bevor er an der Leine stolz das Köpfchen reckte und weiterlief. Nach rund hundert Metern ließ er sich allerdings auf den Rücken fallen und streckte die Stummelbeine aus. Er wollte getragen werden. Sein Wunsch wurde umgehend erfüllt. Die Tasche seines Frauchens bot ausreichend Platz für den Turiner Hundefürsten.
Niccolò lief hinüber, um neben ihm zu traben. Das Frauchen des Conte trug glänzende, enganliegende Kleidung, puffte rhythmisch die Luft aus und ging schneller als ein Fußgänger – doch wirklich rennen tat sie nicht. Was auch immer sie genau machte, es ließ ihren Kopf anschwellen.
»Was ist hier los?«, fragte Niccolò den Conte, der den Kopf auf den Rand der sackartigen Ledertasche gelegt hatte. »Wer sind die Hunde im Borgo? Wie geht es Giacomo? Wieso bist du nicht an deinem Platz?«
»Weil es aus ist«, antwortete er und schloss die Augen. »Ich will nicht darüber reden. Für mich geht es jetzt nach Hause an den Esstisch,
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