Blut & Barolo
ausgeschmückt, obwohl ich eigentlich kein Wort verändern durfte. Vielleicht hat es damals tatsächlich einen Gott gegeben, doch nun ist er fort, und alles, was wir von ihm haben, ist, dass er unser Leben bestimmt, das ohne ihn so viel besser und freier wäre. Zerstöre das Tuch! Ich flehe dich an, mein lieber, lieber Amadeus.«
»Ich werde es zurückbringen. Das ist meine Pflicht.«
Nara stemmte sich auf, wodurch noch mehr Blut aus ihr drang, schaute dem jungen, geliebten Pharaonenhund in die Augen, stieß gar ein letztes Knurren aus. »Erlöse uns endlich!«
Sie brach zusammen. Und plötzlich war da diese Stille, wie in einem Kirchenschiff, die hellen Gesänge der Vögel klangennun wie Nadelstiche. Naras Bauch hob und senkte sich nicht mehr, ihr schönes Fell wirkte mit einem Mal stumpf, das Maul stand unnatürlich offen, die Zunge hing auf die feuchte Pappe herab. Amadeus heulte, um sie aufzuwecken, hoffte, der Lärm würde das Tor des Todes wieder aufstoßen, sie zurückkehren lassen. Doch ihre Augen blieben leblos wie Steine. Wenn Lautes nicht mehr zu ihr drang, dann vielleicht Leises! Er trat ganz nah an ihr Ohr, flüsterte, flehte sie an, ihn nicht alleinzulassen, er sang gar das Lied, welches sie ihm einst beigebracht hatte, über die Schönheit der Pyramiden und den Gott mit dem Kopf eines Schakals.
Doch sie stimmte nicht ein.
Mit einem Mal verhärtete sich Amadeus’ Welt, wie Stahl in Eiswasser. Alle Gefühle, alles, was schmerzte, fiel ab, und zurück blieb nur seine Verpflichtung gegenüber dem Sindone, das einzige Ziel seines Lebens. Er wollte sich nicht über das den Kopf zerbrechen, was Nara gesagt hatte, wollte der Trauer keinen Raum in sich geben, keine Sekunde zum Nachdenken übrig lassen. Nur Taten, sonst nichts.
Das Tuch befand sich im Borgo!
Dieses war das Reich des Conte Rosso.
»Hol die anderen herbei«, rief er zu Ugo, der mit den Schäferhunden immer noch im Schatten hinter ihm stand.
»Wenn du reden willst ...«, fing dieser an, doch er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
»Beeilung!«
Die in die grobe Steinmauer eingelassene schwarze Holztür, hinter welcher der Conte Rosso residierte, ging auf. Ein kleiner Pekinese mit roter Samtschleife trat heraus und sah sich verängstigt um. Amadeus vermutete, dass dieses Schoßhündchen durch den Schuss völlig verunsichert war. Doch darauf konnte er keine Rücksicht nehmen.
»Ist der Conte drin?«, fragte er ihn und blickte in das Zwielicht der offenen Tür.
»Wer soll da sein?«, fragte der Pekinese überrascht. »Ich bin leider nicht von hier. Ich suche nur mein Frauchen. Eben bin ich dummer, kleiner Hund weggelaufen. Hinter der Tür habe ich dann Schutz vor der Kälte gefunden. Wo ist bloß der große Parkplatz mit der Reiterstatue? Da muss mein zuckersüßes Frauchen sein.«
»Such ihn selbst!«
Der Pekinese trottete kläffend davon. Von allen Seiten strömten nun Hunde herbei, reckten neugierig ihre Köpfe, die Ruten erhoben. Sie spürten Amadeus’ Anspannung, keiner wagte, sich am Fell zu kratzen oder herumzuschnüffeln.
Der Pharaonenhund hatte sich vor der schwarzen Tür aufgebaut. »Komm raus, Conte! Sonst kommen wir rein. Schick ruhig deine Gefolgsleute, um dich zu beschützen, wir nehmen es mit jedem auf, und seien ihre Zähne noch so scharf, ihre Fänge unersättlich und ihre Pfoten größer als die Pranken der Löwen. Wir werden jeden Einzelnen zermalmen, denn der Herr ist auf unserer Seite!«
Zuerst passierte nichts, doch dann nahm ein grauer Schemen immer mehr Platz in der Düsternis ein, schob sich ins Freie. Eine Bloodhound-Hündin. Maria Grazia.
»Da kommt unsere Antwort«, sagte Amadeus. »Wir müssen sie nur noch aus ihr herauspressen.«
Maria Grazia setzte sich auf die Hinterpfoten und musterte mit langsamem Augenaufschlag die versammelten Hunde. Dann senkte sie ihren massigen Körper hinab auf den eisverkrusteten Boden und schloss die Lider. Sie würde nichts sagen, das begriff Amadeus nun, Maria Grazia war bereit, für den Conte zu sterben.
Das konnte sie haben.
Doch in diesem Moment kam ihr Retter. Sein Maul war schokoladenverschmiert, sein Hirn durchtränkt mit Barbaresco, seine Laune königlich. Fast tanzten seine Pfoten imDreivierteltakt ins Borgo, und sie stoppten auch nicht, als er die Ansammlung von Artgenossen sah.
Menschen ließen sich täuschen – doch Hunde nicht. Amadeus wusste, dass es keine Lagottos mit schwarzen Punkten gab. Das war bloß eine Frisur. Der Blick von Giacomos Augen, die
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