Blut der Sternengötter
hatte vergessen, daß er die Kleidung eines Handlangers der Dunklen und das Mal des Bösen trug. Er wußte nur, daß er nicht weiterreiten konnte – zu seiner eigenen Sicherheit nicht und auch, um herauszufinden, was sich hinter diesem hartnäckigen, hoffnungslosen Verteidigungswillen des Mannes mit dem Fischerhaken und hinter der Stimme aus der Hütte verbarg.
»Murren …?« rief die Stimme erneut, und dumpfe Schläge ertönten von drinnen gegen die Tür. »Murren – bist du tot?« Die Stimme bekam einen hysterischen Klang, und jetzt schien der Mann draußen zum erstenmal zu hören. Er legte seine Wange an das Holz und stieß einen seltsamen, heiseren Schrei aus, wie der Klagelaut eines Tieres.
»Laß mich heraus, Murren!« befahl die Stimme, und die Schläge gegen die Tür wurden lauter. »Murren! Laß mich heraus!«
Der Mann blieb, wo er war, aber er konnte nur die Tür bewachen, nicht die ganze Hütte. Holz splitterte, und der Mann sprang auf die Füße. Zu spät, denn um die Ecke der Hütte schwankte eine zweite Gestalt, auch sie in Lumpen gekleidet. Dennoch unterschieden die beiden sich sehr.
Der Mann, der sich so sehr bemüht hatte, die Hütte zu schützen, war ein grobschlächtiger, untersetzter Mann von Bauernart. Der Neuankömmling jedoch war ein Gorthianer von edlem Blut und kein geschlagener Sklave. Er war allerdings deutlich am Ende seiner Kräfte und mußte sich an der Mauer der Hütte stützen, um sich aufrechtzuhalten. Das junge Gesicht besaß feine Züge, wenn es auch hager und elend aussah, aber die Schultern waren gestrafft und verrieten, daß sie an das Gewicht eines Schuppenhemdes gewöhnt waren.
Der Junge stellte sich neben den Mann, beide waffenlos, aber voller Trotz. Der junge Mann warf seinen Kopf zurück und rief:
»Du hast uns in deiner Gewalt, Handlanger. Rufe deine Männer. Wenn du erwartest, daß wir um einen schnellen Tod bitten, wirst du enttäuscht sein. Laßt den Lord Rud sein Vergnügen mit uns haben, wie er es wünscht. Nicht einmal die Dunklen können dem Tod auf ewig entgehen!«
»Glaubt mir doch – ich komme nicht von Lord Rud, und ich reite auch nicht im Gefolge seiner Männer.« Kincar bemühte sich, die Worte aufrichtig klingen zu lassen. »Ich bin ein Reisender, und ich suche Unterkunft für die Nacht …«
»Wer erwartet von einem Handlanger, daß er die Wahrheit sagt?« entgegnete der junge Mann müde. »Obgleich ich nicht sehe, was es dir nützen könnte. Nimm uns gefangen und mach ein Ende! Rufe deine Männer, Handlanger des Bösen!«
Kincar stieg ab und streckte seine Hände wieder aus. »Ich jage euch nicht.«
Das drang endlich zu dem Jungen durch. Er fiel gegen Murren, der stützend seinen Arm um ihn legte. »Du jagst uns also nicht – man hat dich nicht von U-Sippar hergeschickt, um uns zu fangen. Aber dann werden wir wohl dein Gunstgeschenk für Lord Rud sein. Also lege uns den Kragen an, und bringe uns zu ihm, Handlanger, dann wirst du sein Wohlgefallen ernten.«
Kincar zog ein Päckchen mit Reisekuchen und getrocknetem Fleisch aus Cims Taschen und warf es zu den beiden hinüber. Es fiel vor Murrens Füße. Der Mann starrte darauf, dann bückte er sich und hob es auf. Sein Staunen war groß über das, was er in der Umhüllung fand.
Murren stieß dem Jungen ein Stück Reisekuchen in die Hand, bevor er selbst gierig seinen Hunger stillte. Kincar war erschüttert. Die Gefangenen, die sie auf jener Straße befreit hatten, waren mit Ausnahme von Kapal so in ihrem Elend versunken gewesen, daß sie kaum mehr menschlich wirkten. Diese zwei waren jedoch keine apathischen Sklaven.
»Wer bist du?« Der Junge hatte den Reisekuchen gegessen und kaute nun an einem Fleischstreifen.
»Ich bin Kincar von Styr …« Es war besser »s’Rud« hier zu verschweigen. Er mußte immer daran denken, daß dieses Gorth nicht sein Gorth war; daß Lord Rud, der Tyrann von U-Sippar, nicht der Lord Rud war, der ihm seinen Namen gegeben hatte.
»Styr …«, der andere schüttelte den Kopf. Der Name sagte ihm nichts.
»In den Bergen.« Kincar erklärte die Lage von Styr, das in diesem Gorth wahrscheinlich nicht existierte.
Der Junge trat vor und stellte sich vor Kincar hin. Er musterte das Gesicht des Halb-Gorthianers so aufmerksam, als wollte er sich jede einzelne Linie für immer einprägen. Dann berührte er mit einem Finger das Mal auf Kincars Stirn und ließ rasch seine Hand wieder fallen.
»Wer bist du?« fragte er wieder – diesmal mit der Autorität eines
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