Blut der Wölfin
ich genauso gut ein paar Fragen stellen. Es war ja nicht so, als ob die anderen irgendwas Produktives täten.
Sie schniefte und wischte sich mit dem Handschuh über die Nase.
»Ich – ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich kann mich nicht erinnern. Ich war … an einem fürchterlichen Ort. So lang.« Ihre Schultern krümmten sich unter einem erstickten Schluchzer. »Das Fegefeuer war’s. Da hat er mich hingeschickt. Ich hab nicht gelebt wie eine gute Christin, aber das hatte ich nicht verdient.«
»Es war ein Fehler, und er wird behoben werden«, sagte Jeremy und sah uns an, als wollte er sagen: Na los. Behebt ihn.
Clay tat einen Schritt vorwärts, aber ich schüttelte den Kopf. Seine Vorstellung von
gnädig
war ein schneller Tod, aber er würde sie sehen lassen, was kam, in der Auffassung, dass es vorbei sein würde, bevor sie Zeit zum Nachdenken hatte. Ich konnte das besser. Ich gab Jeremy zu verstehen, er sollte ihr eine weitere Frage stellen, so dass ich unbemerkt hinter sie gelangen konnte.
»Du sagst ›er‹«, sagte Jeremy. »Bist du ermordet worden?«
Als er sprach, glitt ich nach der Seite, aber ihr Kopf fuhr herum; ihr Blick folgte mir.
»Es ist schon fast so weit, was, Liebes?«, fragte sie mit einem zahnlückigen Lächeln. »So ein hübsches Mädchen, du wirst ein schönes Baby bekommen. Schön und gesund. Soll ich dir sagen, was es sein wird?« Sie trat näher, die Hände vorgestreckt. »Ist ein alter Ammentrick, aber es klappt immer.«
»Äh, danke«, sagte ich, »aber ich möchte mich lieber überraschen lassen.«
»Tu mir den Gefallen, Kind«, sagte sie, während sie näher kam. »Dauert nur einen Moment. Ich lege einfach die Hände …«
Clay machte einen Satz zwischen uns. Die Frau stolperte nach hinten. Jeremy sprang vor, um sie abzufangen. Das Umschlagtuch fiel herunter. Clay riss mich so schnell fort, dass ich nur einen einzigen kurzen Blick auf das Gesicht der Frau werfen konnte; es war bedeckt von einem roten Ausschlag und einzelnen offenen Stellen.
Ich machte einen Schritt vorwärts, um ihr auf die Beine zu helfen.
»Nein«, sagte Jeremy scharf. »Fass sie nicht an.«
Ich runzelte die Stirn. »Es ist nicht ansteckend. Es muss die Verwesung …«
»Nein, das ist nicht das Problem. Und das
ist
ansteckend – nicht über eine Berührung vielleicht, aber wir gehen hier keine Risiken ein.«
»Und, habt ihr alle ein Auge voll genommen?«, fauchte die Frau; sie kauerte immer noch auf dem Boden. »Einen schönen langen Blick auf die arme Rose geworfen?«
Sie wandte sich an mich.
»Glaubst du, du bist sicher, Mädchen? Mit einem großen starken Mann, der dich schützt?« Sie spuckte aus. »Er wird dich aufbrauchen und rauswerfen. War nicht meine Arbeit, von der ich das hier habe.« Sie hob eine fleckige Hand. »Mein eigener Ehemann war’s. Die Pocken hat er mir vermacht und ist gegangen und hat mich sterben lassen.« Sie lächelte; die Zähne, die sie sehen ließ, waren so verfault wie ihr Gesicht. »Aber ich hab mich gerächt, o ja. Hab so manchen zur Hölle geschickt mit einem Gesicht wie meinem. Sind schon wieder ein paar unterwegs. Damals, heute, es ist immer dasselbe. Solange zwischen den Beinen alles da ist, wollen sie dein Gesicht nicht sehen.«
Syphilis also. Ich tat einen langsamen Schritt rückwärts, zu Clay hin.
»Dein schöner Mann kann dich da nicht schützen, Mädchen. Nicht mit dem Merkmal, das du trägst.«
»Merkmal?«, fragte ich.
»Dein Blut war’s, das das Portal geöffnet hat.« Sie lächelte. »Solang du lebst, können wir dich finden. Brauchen nur dem Merkmal zu folgen.«
»Yeah?«, fragte Clay. »Funktioniert aber andersrum genauso, stimmt’s? Du kannst sie nur finden, solange
du
am Leben bist, und das« – er wickelte sich ihr Haar um die Hände – »bist du nicht mehr lang.«
Ein rascher Ruck, und er hatte ihr das Genick gebrochen; dann sprang er aus dem Weg, bevor ihr fallender Körper ihn berühren konnte. Sie war kaum auf dem Kiesboden aufgekommen, als sie sich aufzulösen begann.
»Sind wir hier fertig?«, fragte Clay.
Jeremy nickte. »Wir sind hier fertig.«
Wir hatten das Auto in der Nähe von Cabbagetown stehen gelassen. Ein hübscher Fußmarsch, also legten wir auf halber Strecke eine Pause ein, um etwas zu trinken – wir suchten uns einen Tisch auf der Terrasse, als der Angestellte das Café gerade schließen wollte.
»Sie hatte also Syphilis«, sagte ich. »Und sie hat sie weitergegeben.«
»Wenn ja, war es die Schuld
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