Blut der Wölfin
Morgen, möchte ich wetten. Ich traue mich fast nicht zu fragen – irgendwas … Neues?«
Jeremy zögerte, als widerstrebte es ihm ebenso sehr, es zu sagen, wie mir, es zu hören. »In zwei Zeitungen steht etwas von aggressiven Ratten in der Innenstadt, aber neben den Problemen mit dem Wasser wird das als Nebensächlichkeit behandelt.«
»Vorläufig noch«, murmelte ich. »Gibt es Anzeichen dafür, dass sich irgendwas davon über Toronto hinaus ausbreitet?«
Er schüttelte den Kopf. »Es scheint alles auf die Stadt und dort vor allem auf das Stadtzentrum begrenzt zu sein.«
»Wahrscheinlich wird es dabei auch bleiben«, sagte Jaime – es war das erste Mal seit unserer Begrüßung, dass sie den Mund aufmachte. »Die Auswirkungen sind in der Regel räumlich begrenzt.«
»Dann …«
Das Klingeln meines Handys ließ mich innehalten. Eine unbekannte Ortsnummer erschien auf dem Display.
»Shanahan?«, formte Nick mit den Lippen.
»Hoffen wir’s«, sagte ich, bevor ich auf die Taste drückte.
»Guten Morgen«, flötete eine fröhliche Frauenstimme. »Ich würde jetzt ja nach jemand Bestimmtem fragen, aber ich kenne leider den Namen nicht. Wahrscheinlich könnte ich mich nach der schönen Lupa erkundigen, die ich neulich Abend getroffen habe.«
»Hallo, Zoe«, sagte ich. »Hast du meine Nachricht gekriegt?«
»Nachricht?«
Ich erzählte ihr von meinem Besuch im Miller’s.
»Ah, nein. Habe ich nicht gekriegt. Ich war gestern Abend nicht dort, und Rudy ist in meinem Interesse manchmal ein bisschen übervorsichtig, also hat er mich auch nicht angerufen. Hier, schreib dir meine Nummer auf für den Fall, dass so was noch mal passiert.«
Ich notierte sie. »Ist dir noch was eingefallen?«
»Nach einer Nacht konzentrationsfördernden Diebstahls und einem Vormittag beruhigenden Yogas glaube ich, die Gedächtnisschubladen gehen auf. Ich bin auf dem Sprung in die Bibliothek, aber vielleicht können wir uns zum Mittagessen treffen?«
»Welche Bibliothek?«
»An der Uni. Ich fange schon mal mit dem Material für die Herbstseminare an. Muss den Geist auf Trab halten. In meinem Alter ist der das Erste, das sich verabschiedet.« Ein klingelndes Lachen. »Oder, bei Vamps jedenfalls, das Einzige. Kennst du dich auf dem Campus aus?«
»York oder University of Toronto?«
»U of T.«
»Gut sogar. Sag mir wann und wo, ich bin da.«
[home]
Professor
W ir waren vor fünf Monaten erst an der Universität gewesen; Clay war für einen Kollegen eingesprungen, der im Krankenhaus lag, und hatte dessen Vorlesungen übernommen. Diese Cafeteria allerdings hatten wir nicht betreten. Ich mied sie – manchmal machte ich einen Umweg, um mehrere Gebäude weiter etwas zu trinken oder zu essen zu besorgen. Clay wusste warum, obwohl wir nie darüber sprachen. Als Zoe gerade dieses Café vorschlug, war ich versucht gewesen, auf einem anderen Treffpunkt zu bestehen, hatte es dann aber nicht getan. Ich musste endlich darüber hinwegkommen.
Dies war die Cafeteria, in die ich mit Logan gegangen war, als wir uns das erste Mal begegnet waren, und danach hatten wir sie jedes Mal aufgesucht, wenn er an die Universität kam, um sich mit Clay und mir zu treffen. Logan, mein Bruder im Rudel, mein bester Freund in den Jahren, in denen ich mit meinen gemischten Gefühlen gerungen hatte – dem Rudel gegenüber, meinem Dasein als Werwolf gegenüber und dem Mann gegenüber, der mich zum Werwolf gemacht hatte. Logan, der jetzt seit fünf Jahren tot war.
Fünf Jahre. Mir stockte der Atem, wenn ich nur daran dachte, als wäre ich außerstande, auch nur zu glauben, dass so viel Zeit vergangen sein konnte, wenn der Schmerz noch immer so stechend war, wenn mein Blick durch den Raum und über die leeren Tische hinwegging und ich ihn dort sitzen sehen konnte.
»Ich kann Zoe holen«, murmelte Clay; sein warmer Atem streifte mein Ohr. »Ihr sagen, sie soll lieber mit rauskommen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Kannst du uns irgendwas Kaltes zu trinken besorgen?«, fragte Clay Nick ohne eine Spur seiner üblichen gespielten Einschüchterungstaktiken. Er griff sogar nach der Brieftasche, aber Nick winkte ab.
Logans Beziehung zu Clay war schon vor meinem Auftauchen eine nicht gerade spannungsfreie Freundschaft gewesen. Sie waren einfach zu unterschiedlich für etwas anderes. Und nachdem Clay mich gebissen hatte … sagen wir einfach, sie hatten sich danach nicht mehr sonderlich nahegestanden. Clay war nicht in der Lage gewesen, seine Eifersucht auf meine
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