Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Außerdem habe mich ihr Mageninhalt an eine Fertigmahlzeit, bestehend aus Hühnchen mit Nudeln und Schmelzkäse, denken lassen.
»Aber wie zum Teufel kommt eine Strafgefangene an eine Feldration?«, wundert er sich.
»Genau«, entgegne ich. »Man kann fast alle Lebensmittel vergiften. Warum also ausgerechnet eine Feldration? Außer, jemand benutzt sie zu experimentellen Zwecken, weil er etwas Größeres im Schilde führt.«
»Das wäre entsetzlich. Außerdem müsste derjenige sehr systematisch und organisiert vorgehen. Es könnte jemand sein, der in der Fabrik arbeitet, wo die Fertigmahlzeiten hergestellt und abgepackt werden. Ansonsten bräuchte man viele Röhrchen mit Gift und Spritzen und müsste die Lieferwagen entführen.«
»Wenn das Ziel Terror ist, muss man nicht systematisch vorgehen «, wende ich ein.
»Tja, wahrscheinlich stimmt das«, räumt er ein. »Einhundert, dreihundert oder tausend Tote auf einmal an einem Kriegsschauplatz, auf einem Militärstützpunkt oder in einem Einsatzgebiet hätten eine destabilisierende Wirkung. Es wäre eine Katastrophe für die Moral der Truppe und würde dem Feind Oberwasser geben und die amerikanische Wirtschaft weiter lähmen.«
»Also ist es nichts, was wir entwickeln?«, vergewissere ich mich noch einmal. »Kein Forschungsprojekt unserer Regierung, um der Moral und der Wirtschaft des Feindes zu schaden und ihn zu terrorisieren?«
»Es ist einfach nicht praktisch durchführbar«, erwidert er. »Russland hat ebenso wie die USA aufgehört, Botulinumtoxin als Waffe einzusetzen, worüber ich erleichtert bin. Eine schreckliche Vorstellung. Ich persönlich hoffe, dass eine technische Lösung nie gefunden wird. Ein Sprühstoß, und zehn Prozent der Menschen, die sich in einem Umkreis von einem halben Kilometer in Windrichtung aufhalten, sind entweder tot oder schwer krank. Nicht auszudenken, wenn die Wolke in eine Schule oder in ein Einkaufszentrum geweht wird. Auf jeden Fall müssen wir in Erfahrung bringen, weshalb einige Menschen gestorben sind und andere nicht oder nur Zufallsopfer waren.«
»Wir halten Dawn Kincaid für ein Zufallsopfer.«
»Aber ihre Mutter und die Staatsanwältin waren Ihrer Ansicht nach Zielpersonen.«
»Ja.«
»Und nach Ihrem Bericht zu urteilen, glauben Sie, dass der Täter oder die Täterin hinter der Staatsanwältin her war …«
»Hinter Jaime Berger und Kathleen Lawler. Ja, ich bin überzeugt davon, dass sie diejenigen waren, die sterben sollten.«
»In diesem Fall und wenn Ihre Vermutung zutrifft, wären sie, anders als die toten Strafgefangenen, keine Versuchskaninchen.«
»Ich habe das Gefühl, dass sich etwas verändert hat«, antworte ich. »So, als ob die verantwortliche Person sehr gründlich ist und etwas im Schilde geführt hat. Und plötzlich geschieht etwas Unerwartetes. Vielleicht wegen Jaime. Die Täterin wollte Jaime das Handwerk legen.«
»Sie gehen von einer Täterin aus.«
»Es war eine Frau, die gestern das Sushi geliefert hat.«
»Nun, wenn das eindeutig feststeht.«
»Tut es. Und was nun?«, entgegne ich.
»Drei Giftmorde mit Botulinumtoxin, bei denen auch noch eine manipulierte Feldration im Spiel ist. Es wird die Hölle los sein, Kay«, sagt er. »Und Sie müssen sich raushalten. Machen Sie einen Riesenbogen um die Sache.«
32
Die Sonne steht hoch am wieder einmal weißlich blauen Himmel. Die Hitzewelle hält Georgia gnadenlos in ihrem Griff. Colin Dengates Behauptung ist schlicht und ergreifend unwahr. Nicht jeder ist in der Lage, sich daran zu gewöhnen, bei diesem Wetter ohne Klimaanlage herumzufahren. Zum Glück hat Benton mitgedacht und mir die khakifarbene Sommeruniform mitgebracht, weshalb ich nicht in schwarzen Sachen vor mich hin schmoren muss.
Es ist Samstag, der 2. Juli, kurz vor zehn Uhr vormittags, und Colins Mitarbeiter haben mit Ausnahme der Rufbereitschaft frei. Er hat mir erzählt, dass es ihn einige Überredungskunst gekostet hat, die richtigen Arbeitsbedingungen für mich zu schaffen. Außerdem musste er mich im Hotel abholen, weil ich nicht mobil bin. Marino ist losgefahren, um die medizinischen Bedarfsartikel zu kaufen, die ich gerne parat haben möchte. Unterwegs hat er Lucy noch bei einem Harley-Davidson-Händler abgesetzt, weil sie beschlossen hat, während ihres Aufenthalts hier Motorrad zu fahren. Ich wollte Benton den Mietwagen nicht wegnehmen, obwohl er eigentlich vorhat, im Hotel zu bleiben. Als ich ging, telefonierte er gerade. FBI-Agents aus der Außenstelle in Atlanta
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