Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Scherz, ausgemalt haben, denn das AFME kann überall dort tätig werden, wo die Regierung der Vereinigten Staaten für einen Todesfall zuständig ist. Sicher hat Briggs ein weiteres Problem, das möglicherweise gar keines ist, gerade noch gefehlt. Mich und meine Intuition kann er momentan bestimmt nicht gebrauchen.
»John Briggs«, hallt seine dunkle Stimme durch meinen drahtlosen Ohrhörer.
»Ich bin es, Kay.« Ich erkläre ihm kurz den Grund meines Anrufs.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragt er, wie ich es vorausgeahnt habe.
»Möchten Sie die kurze Antwort oder die ausführliche?« Einige Kissen im Rücken, sitze ich auf dem Bett und überfliege die von Lucy ausgedruckten Informationen.
»Ich steige gleich in den Flieger nach Kabul, aber ein paar Minuten habe ich noch. Die nächsten vierundzwanzig Stunden können Sie mich nicht erreichen. Eigentlich sind mir kurze Antworten lieber. Aber schießen Sie los.«
Ich schildere ihm die Fallgeschichten. Mit den verdächtigen Todesfällen im GPFW, von denen Colin mir berichtet hat, fange ich an und beschreibe dann die Ereignisse der letzten fünfundzwanzig Stunden. Außerdem betone ich, dass die bewiesene Vergiftung von Dawn Kincaid mit Botulinumtoxin-A auf einen ausgeklügelten Verteilungsweg hinweist, wie er uns noch nie untergekommen ist.
»Dass Botulinumtoxin bereits nach zwei bis sechs Stunden zum Tode oder zu schweren Krankheitssymptomen führen kann, ist theoretisch möglich«, erläutere ich. »Doch für gewöhnlich dauert es eher zwölf bis vierundzwanzig Stunden, manchmal sogar eine gute Woche.«
»Weil es in den uns bekannten Fällen durch Lebensmittel übertragen wurde«, erwidert Briggs, während ich weiter Lucys Ausdrucke studiere. Ich betrachte die bearbeitete Aufnahme der Überwachungskamera, die die Kurierfahrerin mit der Sushitüte darstellt.
»Dass jemand mit dem puren Gift in Berührung kommt, geschieht eigentlich nie«, spricht Briggs weiter. »Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern.«
Kopf und Hals der Frau sind nichts als ein weißer Fleck. Doch Lucy hat den Rest von ihr schärfer gestellt und vergrößert, auch das silberne Fahrrad, das sie über die Straße geschoben und an den Laternenmast gelehnt hat. Sie trägt eine dunkle Hose, Turnschuhe und Socken, keinen Gürtel und eine helle, kurzärmelige Bluse, die im Hosenbund steckt. Nur ihre Unterarme und Hände sind nackt. Eine Nahaufnahme ihres linken Ringfingers zeigt einen Ring mit einem Stein im Baguetteschliff. Der Ring selbst könnte aus Weißgold, Gelbgold oder Platin sein, was für mich nicht festzustellen ist. Alle Bilder sind Infrarotaufnahmen in verschiedenen Weiß- und Grautönen.
»Normalerweise stecken Lebensmittel dahinter, die mit den Sporen von Clostridium botulinum verunreinigt sind, welche den Giftstoff produzieren«, fährt Briggs fort. »Das arbeitet sich dann durch den Verdauungstrakt und wird normalerweise vom Dünndarm absorbiert, bevor es in den Blutkreislauf gerät und anfängt, neuromuskuläre Proteine anzugreifen. Im Grunde genommen befällt es das Gehirn und verhindert so die Freisetzung von Neurotransmittern.«
Die Frau auf dem Überwachungsfoto trägt auch eine Armbanduhr. Auf einer anderen Bilddatei von Lucy ist eine Uhr von Marathon mit einem dunklen Zifferblatt mit einem stoßfesten, wasserdichten und staubdichten Gehäuse zu sehen. Solche Uhren werden im Auftrag der amerikanischen und kanadischen Regierung hergestellt und an Angehörige der Streitkräfte ausgegeben.
»Was, wenn ein reines und sehr starkes Gift mit den Schleimhäuten in Kontakt kommt?«, frage ich, weil ich weiterhin befürchte, dass die Täterin Beziehungen zum Militär haben könnte.
Ob sie vielleicht einen Anschlag plant?
»Denken Sie an Leute, die sich Drogen in Mund, Vagina oder ins Rektum reiben«, füge ich hinzu. »Kokain zum Beispiel. Wir wissen, wie das wirkt. Und stellen Sie sich das bei einem Gift wie Botulinumtoxin vor.«
»Ein echtes Problem«, erwidert Briggs. »Allerdings habe ich noch nie von so etwas gehört und deshalb nicht die geringsten Vergleichsmöglichkeiten. Schön ist es sicher nicht.«
»Pures Gift auf die Mundschleimhäute.«
»Es wird viel schneller aufgenommen, als wenn man mit der Mikrobe, also dem Bakterium Clostridium botulinum und seinen Sporen, verseuchte Nahrung isst«, entgegnet Briggs. »Bakterien müssen erst wachsen und das Toxin produzieren, weshalb es Stunden, ja vielleicht sogar Tage dauert, bis die Lähmungserscheinungen im Gesicht
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