Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
gerade noch im Laden gewesen war. »Wahrscheinlich kannst du mir nicht sagen, was für ein Auto Roberta Price fährt und ob es möglicherweise ein schwarzer Mercedes Kombi ist«, meine ich zu Benton.
Eine lange Pause. »Auf sie ist kein Wagen zugelassen, zumindest nicht unter Roberta Price. Vielleicht ja unter einem anderen Namen. Hat Gloria Jordan ihre Medikamente in derselben Apotheke gekauft?«
»Nein, in einer in ihrem Stadtviertel. Damals war es eine Rexall-Filiale, die inzwischen von CVS übernommen wurde.«
»Also könnte Roberta Price kurz nach den Morden die Stelle gewechselt und eine in einer kleineren Apotheke ganz in der Nähe des GPFW gefunden haben«, antwortet Benton, während er jemand anderem mitteilt, dass er gleich da sein wird. »Es gibt keinen vernünftigen Grund, gegen eine Apothekerin zu ermitteln, nur weil sie Rezepte für Gloria Jordan und fürs GPFW eingelöst hat – und vermutlich noch für zehntausend andere Leute in dieser Gegend, Kay. Das heißt aber nicht, dass wir der Sache nicht nachgehen werden.«
»Dass eine Apotheke kein Problem darin sieht, sich an Hinrichtungen im GPFW und vielleicht auch in der Strafanstalt für Männer zu beteiligen, ist ungewöhnlich«, stelle ich fest. »Viele Apotheker verstehen sich nämlich als Fachleute in Sachen medikamentöser Therapie und haben das Wohl des Patienten im Blick. Diesen Patienten umzubringen, passt nicht in ihr Weltbild.«
»Uns verrät es nur, dass Roberta Price entweder keine ethischen Schwierigkeiten mit der Todesstrafe hat oder dass sie sich nur als ausführendes Organ betrachtet.«
»Oder dass sie sogar Spaß daran hat, insbesondere, wenn die Wirkung des Betäubungsmittels nachlässt oder sonst etwas schiefgeht. Hier in Georgia gab es vor kurzem einen solchen Fall. Der Todeskampf des Verurteilten dauerte doppelt so lang wie gewöhnlich und war sehr qualvoll. Ich frage mich, wer wohl damals das Rezept eingelöst hat.«
»Das werden wir rauskriegen«, erwidert Benton. Allerdings wird er sich sicher nicht sofort darum kümmern.
»Außerdem muss sich jemand mit dem DNA-Labor in Verbindung setzen, das Jaime beauftragt hat«, füge ich hinzu. Es interessiert mich nicht, ob er das wichtig findet oder nicht. Während ich telefoniere, gehe ich zu Colins brummendem Land Rover. »Wahrscheinlich sind sie dort technisch noch nicht auf demselben Stand der Technik wie beim Militär.«
Damit meine ich das Armed Forces DNA Identification Laboratory AFDIL auf dem Luftwaffenstützpunkt Dover, wo die technische Ausstattung als Folge der Herausforderung, die unsere Kriegstoten bedeuten, in neue Dimensionen vorgedrungen ist. Was geschieht, wenn eineiige Zwillinge im selben Kriegsgebiet eingesetzt werden und einer oder beide fallen? Ein gewöhnlicher DNA-Test kann sie nicht voneinander unterscheiden. Ihre Fingerabdrücke würden zwar nicht übereinstimmen, doch vielleicht ist ja von ihren Fingern nichts mehr übrig, was man vergleichen könnte.
»Sprengsätze, grauenhafte Verletzungen. In manchen Fällen ist die Leiche völlig zerfetzt«, ergänze ich. »Es ist schwierig, jemanden zu identifizieren, wenn nichts als ein verschmutzter Blutfleck auf einem Stück Stoff oder ein verkohlter Knochensplitter übrig ist. Ich weiß, dass das AFDIL über die nötige technische Ausstattung verfügt, um epigenetische Phänomene zu analysieren. Methylierung und histone Acetylierung machen DNA-Vergleiche möglich, die bei herkömmlichen Methoden undenkbar sind.«
»Und warum sollte das hier notwendig sein?«
»Weil eineiige Zwillinge mit einer identischen DNA geboren werden. Ältere Zwillinge weisen in ihrem Genom deutliche Unterschiede auf, wenn man die technischen Möglichkeiten besitzt, danach zu suchen. Je länger ein Zwillingspaar getrennt voneinander verbringt, desto größer werden diese Unterschiede. Die DNA bestimmt die Persönlichkeit, und irgendwann beeinflusst die Persönlichkeit dann die DNA«, erkläre ich, während ich die Beifahrertür öffne. Aus dem Gebläse weht mir heiße Luft entgegen.
34
Der Mann, der an die Tür kommt, ist verschwitzt. Die Venen an seinem gewaltigen sonnengebräunten Bizeps treten hervor wie Taue. Offenbar hat er gerade trainiert, als wir unangekündigt bei ihm erschienen sind.
Dass zwei Fremde, einer in Cargohose und einem Polohemd, die andere in khakifarbener Uniform, auf seiner Veranda stehen, missfällt ihm sichtlich. Der alte Land Rover parkt im Schatten einer Eiche neben einem mit Jasmin bewachsenen
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