Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Ein Ungeheuer oder ein Komplizenpaar mit einem großangelegten Plan, von dem eine geistig zurückgebliebene Jugendliche nichts zu erfahren brauchte. Falls sie doch etwas geahnt hätte, wäre sie jetzt vermutlich tot wie Kathleen Lawler und Jaime. Ich gehe von einer ausgeklügelten Strategie aus, zu der gehörte, Lola etwas anzuhängen – genau, wie man jetzt versucht, mir eine Straftat unterzuschieben. Und ich nehme nicht an, dass dieses Spiel einzig und allein das Werk von Dawn Kincaid ist.
Während ich das Laborgebäude verlasse, krame ich mein Telefon aus der Handtasche und tippe Bentons Nummer ein. Ich suche mir einen Platz neben einem Zylinderputzer-Busch mit leuchtend roten Blüten, zwischen denen auf meiner Augenhöhe ein Kolibri herumschwirrt. Die gleißende Sonne ist eine Wohltat, denn ich bin nach dem Aufenthalt in dem klimatisierten Konferenzraum inmitten von Beweisstücken, die ihr grausiges Wissen herauszuschreien scheinen, bis aufs Mark durchgefroren. Ich bin nicht sicher, wer auf ihre Stimmen hören wird.
Auf Colin kann ich mich verlassen. Auf Marino und Lucy natürlich auch. Ich habe den beiden eine SMS geschickt und sie gefragt, ob ihnen der Name Roberta Price etwas sagt. Außerdem bräuchte ich weitere Informationen über Gloria Jordan. In den Medienberichten, die ich gelesen habe, steht fast nichts über sie, kaum persönliche Details und nichts, was auf Probleme hinwiese. Allerdings bin ich sicher, dass es da welche gab, und der Zeitpunkt hätte kein schlechterer sein können.
Wenn Benton nicht mein Mann wäre, würde er dieser Geschichte, die wie ein Gräuelmärchen und frei erfunden klingt, vermutlich keine Sekunde seiner Aufmerksamkeit schenken. Meine Theorie, was die Ereignisse vor neun Jahren angeht, wird im Moment weder das FBI noch das Ministerium für Heimatschutz interessieren, und ich verstehe den Grund. Allerdings ist es dringend notwendig, dass jemand sofort aktiv wird.
»Offenbar sind deine Freunde aus Atlanta inzwischen da«, sage ich zu Benton, als er das Gespräch annimmt. Im Hintergrund nehme ich laute Stimmen wahr; es scheinen mehrere Personen zu sein.
Ich werde seine Geduld gleich auf eine harte Probe stellen, das spüre ich jetzt schon.
»Wir fangen gerade an. Was gibt’s denn?« Er macht einen geistesabwesenden und angespannten Eindruck und geht beim Reden in einem Raum voller Menschen hin und her.
»Es wäre gut, wenn du und deine Kollegen etwas überprüfen würden.«
»Und das wäre?«
»Adoptionsunterlagen. Bitte, pass jetzt gut auf«, erwidere ich. »Ich weiß, dass der Fall Jordan momentan keine Priorität genießt, doch das sollte er. Alles, was mit Kathleen Lawler und Dawn Kincaid zu tun hat, obwohl ich keine Ahnung habe, wie sie bei ihrer Geburt hieß. Ich kenne auch den Namen der ersten Familie nicht, die sie adoptiert hat. Dawn wurde von einer Pflegefamilie zur anderen weitergereicht, bis sie schließlich bei einem Paar in Kalifornien landete, das starb. Angeblich. Könntest du in Erfahrung bringen, was das FBI übersehen hat, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, an welche Stellen Dawn herangetreten ist. Sie hat 2001 oder 2002 jemanden, eine Agentur vielleicht, kontaktieren müssen, um herauszufinden, wer ihre leiblichen Eltern sind. Das war bei ihr sicher genauso wie bei allen Adoptivkindern.«
»Du weißt nicht, ob Kathleen Lawler dir die Wahrheit gesagt hat. Also wäre es besser, das Thema später zu erörtern.«
»Wir wissen aber, dass Dawn Anfang 2002 in Savannah war. Deshalb müssen wir jetzt darüber sprechen«, beharre ich und stelle mir dabei Kathleen Lawler im Besucherzimmer vor. Sie hat gesagt, sie habe im Knast gesessen, als die Wehen begannen, und ihre Bemerkungen wollen mir nicht aus dem Kopf.
Sie sei eingesperrt worden wie ein Tier und habe sie weggeben müssen . Was hätte sie denn tun sollen, sie einem zwölfjährigen Jungen wie Jack Fielding anvertrauen?
»Das ist ebenso unbewiesen«, entgegnet Benton.
»Den neuen DNA-Tests zufolge war Dawn 2002 im Haus der Jordans«, antworte ich. »Allerdings wirst du noch andere Tests anfordern müssen, aber darauf komme ich noch. Hat sie die weite Reise von Kalifornien hierher gemacht, um ihre leibliche Mutter kennenzulernen, oder gab es einen anderen Grund?«
»Mir ist klar, wie wichtig es dir ist«, antwortet Benton, womit er meint, dass Dawn Kincaids Besuch in Savannah im Jahr 2002 ihn im Augenblick nicht besonders interessiert. Inzwischen befürchten das FBI und die amerikanische
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