Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Revolution. Warme Windböen tragen den Geruch von frisch gemähtem Rasen heran.
»Nicht schon wieder dieser verdammte Fall«, erwidert Gabe Mullery. »Immer wieder stehen Reporter vor der Tür, aber am schlimmsten sind die Touristen. Die Leute klingeln einfach und wollen herumgeführt werden.«
»Wir sind weder Reporter noch Touristen, noch wollen wir eine Führung.« Colin stellt uns vor und fügt hinzu, ich würde in den nächsten Tagen nach Boston zurückkehren und vorher gern einen Blick auf den Garten hinter dem Haus werfen.
»Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber warum?«, fragt Mullery. Hinter ihm erkenne ich durch die offene Tür die Treppe aus hellem Holz und den Treppenabsatz in der Vorhalle, wo Brenda Jordans Leiche gefunden wurde. »Der Garten ist das Hobby meiner Frau. Sie hat alles in jahrelanger Arbeit komplett verändert. Außerdem hat sie dort ihr Büro. Also ist das, was Sie suchen, sicher nicht mehr da. Ich verstehe den Sinn nicht.«
»Wenn es Sie nicht stört, würde ich trotzdem gern kurz nachschauen«, erwidere ich. »Ich habe einige Informationen neu gesichtet …«
»Immer wieder dieser Fall.« Er seufzt entnervt. »Ich wusste, dass es ein Fehler war, dieses Haus zu kaufen. Und jetzt wird sie auch noch ausgerechnet an Halloween hingerichtet, verdammt. Am besten fliehen wir an diesem Tag aus der Stadt. Wenn ich könnte, würde ich die Bude verrammeln, die Nationalgarde alarmieren und in Hawaii abwarten, bis alles vorbei ist. Aber gut, meinetwegen.«
Er geht zur Seite und lässt uns herein.
»Dieses verdammte Haus zu kaufen war eine ganz schlechte Idee«, fährt er gereizt fort. »Ich hätte nicht auf meine Frau hören sollen. Ich habe sie gleich gewarnt, dass wir eine Station auf der Touristenroute sein würden. Allerdings ist sie meistens allein zu Hause. Ich bin fast immer geschäftlich unterwegs. Also sollte sie dort wohnen, wo es ihr gefällt. Das ist schließlich nur fair. Natürlich tut es mir leid, dass Menschen hier gestorben sind, aber tot ist tot. Und ich kann es nicht ertragen, ständig von fremden Leuten belästigt zu werden.«
»Ich kann Sie verstehen«, erwidert Colin.
Wir betreten die imposante Eingangshalle eines Hauses, das mir so vertraut erscheint, als wäre ich schon einmal hier gewesen. Ich stelle mir Gloria Jordan auf der Treppe vor, barfuß und im blaugeblümten Flanellnachthemd, wie sie in die Küche geht und darauf wartet, dass Besuch kommt und die Verschwörung ihren Lauf nimmt. Vielleicht hat sie sich auch in einem anderen Teil des Hauses aufgehalten, als die Glasscheibe zerbrach und eine Hand hineingriff, um den Riegel mit einem Schlüssel zu öffnen, der eigentlich nicht hätte stecken dürfen. Ich habe keine Ahnung, wo sie war, als ihr Mann ermordet wurde, aber auf keinen Fall im Bett. Sie schlief nicht, als siebenundzwanzigmal auf sie eingestochen wurde und man ihr die Kehle durchgeschnitten hat, ein exzessives Ausagieren von Lust und Wut. Aller Wahrscheinlichkeit nach fand der Angriff in dem Bereich der Vorhalle statt, wo sie barfuß in ihr eigenes Blut und das ihrer ermordeten Tochter getreten ist.
»Sie hören sicher, dass ich nicht von hier bin«, meint Mullery. Anfangs habe ich ihn für einen Engländer gehalten, doch sein Akzent klingt eher australisch. »Sydney, London und dann nach North Carolina, um mich an der Duke University in Tauchmedizin zu spezialisieren. Da ich erst lange nach den Morden nach Savannah kam, haben die Gerüchte über dieses Haus mir nicht viel gesagt. Ansonsten hätte ich es ganz bestimmt nicht besichtigt, als es vor ein paar Jahren zum Verkauf angeboten wurde. Wir haben es uns angeschaut, und bei Robbi war es Liebe auf den ersten Blick.«
Nicht die Bilderbuchehe, als die sie immer dargestellt wurde , hat Lucy mir gemailt. Der Anhang enthielt die Informationen, die sie zusammengesucht hat. Sie zeichnen das Bild einer Frau mit einer von selbstzerstörerischen Tendenzen geprägten Vergangenheit. Sie hat Clarence Jordan 1997 geheiratet und unmittelbar danach Zwillinge bekommen, Josh und Brenda. Eine Geschichte wie aus dem Märchen. So muss es zumindest ihrem Umfeld erschienen sein. Dr. Jordan stellte sie im Alter von zwanzig Jahren als Empfangssekretärin in seiner Praxis an. Offenbar haben sie sich in dieser Zeit näher kennengelernt. Vielleicht hat er ja gehofft, ihr helfen zu können, und eine Weile sah es auch danach aus, als hätte sie sich wieder gefangen. Die chaotischen Jahre, in denen sie sich immer wieder in
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