Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
geschlossenen Türen unseres gemeinsamen Privatlebens anhören musste, wäre aber niemals darauf gekommen, dass sie sich berufen fühlen könnte, in das Computersystem des NYPD einzudringen, um Beweise für mich zu beschaffen.«
»Und du bist ganz sicher, dass sie das getan hat?«
»Wahrscheinlich bin ich selbst schuld daran.« Wieder starrt sie ins Leere. »Ich habe den fatalen Fehler gemacht, ihren Hang zur Selbstjustiz, ihre absolute Distanzlosigkeit und, wir wollen es beim Namen nennen, ihre soziophathischen Neigungen zu dulden. Schließlich kenne ich sie wie keine andere. Kay, du und ich, wir wissen es ja beide. Mit der Sache, aus der ich sie rausholen musste, haben die Verstrickungen zwischen uns ja erst angefangen …«
»Verstrickungen?«
»Weil du mich um Hilfe gebeten hast.« Sie trinkt einen Schluck. »Polen und das, was dort geschehen ist. Mein Gott, wie würdest du dich fühlen, wenn du eine Beziehung mit jemandem hättest, der Geheimnisse vor dir hat? Jemandem, der … Nein, ich spreche es nicht aus.«
»Menschen umgebracht hat?«
»Ich weiß mehr, als mir lieb ist, und das war schon immer so.«
Ich frage mich, warum Jaime Berger sich so verändert hat. Früher ist sie nicht so um sich selbst gekreist und hat sich auch nicht mit Vorwürfen zermürbt.
»Wie oft, glaubst du, habe ich ihr ›Kein Wort mehr‹ gesagt? ›Ich will es nicht hören. Ich bin Mitarbeiterin der Justiz.‹ Wie konnte ich nur so dumm sein?«, fügt sie mit schwerer Zunge hinzu. »Vielleicht lag es ja daran, dass ich Farbman so verabscheue. Er wollte mich schon seit Jahren abschießen. Allerdings war mir nicht klar, dass er damit nicht allein war. Als Lucy mir die Informationen gab und ich mich überzeugen konnte, welche Daten Farbman gefälscht hatte, bin ich zum Polizeipräsidenten gegangen, der natürlich Beweise verlangte.«
»Mit denen du nicht aufwarten konntest.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass er welche fordern würde.«
»Warum?«
»Gefühle. Ich habe mich von ihnen hinreißen lassen und mich folgenschwer verschätzt. Plötzlich war ich die Angeklagte. Die mit den Flecken auf der weißen Weste. Natürlich wurde das nie direkt geäußert, aber das war auch nicht nötig. Gewisse Leute brauchten im Gespräch nur an den richtigen Stellen Lucys Namen fallenzulassen. Sie waren im Bilde. Eine forensische Computerexpertin, der der Ruf der Tollkühnheit vorauseilt und die beim FBI und beim ATF rausgeflogen ist. Alle wissen, wozu sie fähig ist. Ich habe keinen Einfluss darauf, was du Lucy sagst. Aber ich rate dir …«, setzt sie an.
»Ich würde dich bitten, mir im Zusammenhang mit Lucy keine Ratschläge zu geben«, entgegne ich.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du einverstanden …«
»Es liegt nicht an mir, mein Einverständnis zu geben«, unterbreche ich sie, stehe vom Sofa auf und fange an, das Geschirr abzuräumen. »Du hattest eine Beziehung mit Lucy. Mein Verhältnis zu ihr ist ein anderes, und das wird es auch immer sein. Wenn es wirklich so passiert ist, wie du es gerade geschildert hast, hat sie dich ausgesprochen unklug und unbeschreiblich leichtsinnig behandelt und sich außerdem selbst geschadet.« Ich bringe das Geschirr in die Küche. »Am besten lasse ich dich jetzt schlafen. Du siehst müde aus.«
»Interessant, dass du es so ausdrückst.« Unbeholfen stellt sie die Weingläser und die leere Flasche neben das Spülbecken. » Sich selbst geschadet . Und ich dachte schon, ich sei diejenige, der geschadet worden ist.«
Ich drehe das warme Wasser auf und entdecke unter der Spüle eine fast leere Flasche Spülmittel. Als ich Ausschau nach einem Schwämmchen halte, sagt Jaime, sie habe vergessen, welche zu kaufen. Dann lehnt sie am Küchenblock und beobachtet, wie ich nach einer Mahlzeit saubermache, zu der sie nichts beigetragen hat, außer einen Anruf zu erledigen und ein paar Häuserblocks zum Restaurant zu gehen, um bei meiner Ankunft bloß nicht zu Hause zu sein. Um Marino Gelegenheit zu geben, den Weg für sie zu ebnen. Um einen großen Auftritt hinlegen zu können. Um ihr Drehbuch weiter durchzuspielen.
»Leider bin ich nicht gut darin, andere Menschen aus meinem Leben zu verbannen«, stelle ich fest, während ich mit Spülmittel und bloßen Händen das Geschirr reinige. »Vielleicht gelingt es mir nur, wenn sie endlich tot sind und ich zu dem Schluss komme, dass ich genug hatte und ihr Ableben ein verdammter Glücksfall ist. Aber wahrscheinlich stimmt das gar nicht. Vermutlich meine ich
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