Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
als Sündenbock missbraucht.«
»Du hättest mich einfach nur zu fragen brauchen, Jaime«, entgegne ich. »Das restliche Theater war überflüssig. Du musstest mich nicht mit einem Trick hierherlocken, und was mir am meisten Sorgen macht, ist, dass du es für nötig gehalten hast, mich zu bestechen. Gegen das FBI komme ich schon an. Und ich denke, nach allem, was wir zusammen erlebt haben, hättest du wissen müssen, dass es genügt, mich einfach nur um meine Hilfe zu bitten.«
»Du wärst nach Savannah gekommen und hättest mich im Fall Lola Daggette als Forensikexpertin unterstützt?« Sie betrachtet ihr Glas, als überlege sie, ob sie es nachfüllen soll. »Du hättest dich mit deinem Kollegen Colin Dengate, diesem Redneck, angelegt, der auf meine Fragen bis jetzt nur mit Ja oder Nein geantwortet hat? Du hättest dich gegen ihn gestellt?«
»Colin ist kein Redneck«, widerspreche ich. »Er ist nur sehr festgefahren, was seine Vorstellungen und Meinungen angeht.«
»Ich wusste nicht, wie du dazu stehst«, antwortet sie, und damit meint sie nicht das Thema, ob ich bereit bin, Colin Dengates Befunde anzuzweifeln.
Jaime denkt daran, dass wir einmal beinahe verschwägert gewesen sind. Sie ist unsicher, ob das, was zwischen Lucy und ihr vorgefallen ist, Einfluss auf meine Hilfsbereitschaft haben könnte. Ob ich überhaupt noch mit ihr befreundet sein will.
»Offenbar weiß Lucy nicht, dass du hier bist«, beantworte ich die Frage, die Jaime eigentlich hätte stellen sollen. »Sie war ein wenig aufgebracht, als ich sie heute Nachmittag anrief, nachdem Kathleen mir deine Mobilfunknummer gegeben hatte. Ich habe mich bei Lucy erkundigt, ob sie dir erzählt hat, dass ich nach Savannah wollte. Ob du es so erfahren hast. Sie hat erwidert, sie habe nicht mit dir gesprochen.«
»Wir haben seit sechs Monaten keinen Kontakt mehr.« Jaime starrt an mir vorbei ins Leere. Ihre Stimme klingt angespannt.
»Du brauchst mir nicht zu erklären, was passiert ist.«
»Ich habe ihr gesagt, ich wolle sie nie wiedersehen. Sie solle sich auf keinen Fall wieder mit mir in Verbindung setzen«, entgegnet sie kühl.
»Du brauchst es nicht zu erklären«, wiederhole ich.
»Offenbar hat sie mit dir nicht darüber geredet.«
»Sie ist nach Boston gezogen, und plötzlich warst du nicht mehr da und wurdest auch nicht mehr erwähnt. Mehr hat sie anscheinend niemandem mitgeteilt.«
»Nun, was sie getan hat, war keine Absicht, obwohl die Folgen verdammt noch mal vorhersehbar waren, wenn sie genauer darüber nachgedacht hätte.« Jaime steht auf und kehrt zurück in die Küche, wo die Flasche ist. »Sicher wollte sie mir nicht schaden. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass sie alles zerstört hat, was ich mir aufgebaut habe. Und dabei hat sie noch weniger als Greg begriffen, was sie da überhaupt angerichtet hat.«
Greg ist Jaimes Exmann.
»Wenigstens war ihm klar, welche Anforderungen mein Beruf an mich stellt«, ruft Jaime von der Küche aus, wo sie Scotch nachschenkt. »Als Anwalt und reifer und vernünftiger Mensch kennt er die Abläufe und weiß, dass man gewisse Regeln und Tatsachen nicht einfach ignorieren kann, weil man sich über sie erhaben fühlt. Trotz aller Schwierigkeiten hat sich Greg zumindest diskret, intelligent, ja sogar professionell verhalten, wenn man diesen Ausdruck auf eine Beziehung oder deren Auflösung überhaupt anwenden kann.« Sie kehrt zum Sofa zurück und lässt sich wieder in ihrer Ecke nieder. »Und er wäre nie so leichtfertig gewesen, unter dem Vorwand, mir helfen zu wollen, etwas zu tun, was sicher zu meinem Untergang geführt hätte.«
»Du brauchst mir nicht zu erzählen, was Lucy deiner Ansicht nach angestellt hat«, antworte ich leise, wobei ich darauf achte, mir meine wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen.
»Woher, glaubst du, weiß ich von Farbmans gefälschten Daten? « Jaime blickt mich an. Ihre Augen sind dunkel wie offene Wunden, die Pupillen geweitet. »Warum, denkst du, kenne ich die Tatsachen, anstatt einfach nur auf der Basis von merkwürdig klingenden Statistiken eine Vermutung auszusprechen?«
Ich antworte nicht, weil ich mir den Rest schon vorstellen kann.
»Lucy hat sich ins Real Time Crime Center eingehackt, und zwar in die Datenbank, wo alles zu finden war.« Jaimes Stimme stockt. Kurz erkenne ich die Trauer wegen eines Verlusts, den sie sich nicht eingestehen will. »Ich teile zwar ihre Haltung zu Farbman und zu meinem Gejammer, das sie sich bis zum Erbrechen hinter den
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