Blut für Blut: Thriller (German Edition)
wo der Geruch nach Farbe und Terpentin ihnen in der Nase kitzelte. Als sie kurz darauf unten auf der Straße standen, warf Rebekka einen Blick in den Hof. Kissis weißer Polo war weg, und sie war überzeugt, dass sie näher dran waren als je zuvor.
DIENSTAG, 27. JUNI 1989
Liebes Tagebuch
Heute ist Charlotte ein Jahr tot.
Wir haben einen wunderschönen Kranz auf ihr Grab gelegt – Rosen, weiß und champagnerfarben.
Oma und Opa haben uns zum Essen in den Pavillon im Tivoli eingeladen, um Charlotte zu gedenken.
Ich habe dagesessen und die Menschen angesehen, während wir gegessen haben, die vielen fremden Gesichter. Ich frage mich immer, ob sie da in der Menge ist, direkt vor mir.
Mutter hat beim Hauptgericht angefangen zu weinen. Sie kann nicht mehr, hat sie gesagt. Sie ist mit den Nerven am Ende. Oma hat schnell gesagt, dass die Blumen im Tivoli dieses Jahr besonders schön sind. Das sagt sie jedes Jahr. Der Ober hat eine weitere Flasche Wein für Vater geöffnet.
Ich sehe die Kinder mit den Ballons und dem großen Eis, all die frohen Menschen auf der Rutschbahn, die jedes Mal, wenn es hinunter in die Tiefe geht, laut schreien, die Paare, die Hand in Hand herumlaufen.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagen die Leute um uns herum, aber das ist gelogen.
Um uns herum geht das Leben weiter – doch in uns ist die Zeit stehen geblieben.
Søs
SONNTAG, 29. JUNI
»Du musst schnell herkommen. Der alte Mann, der niedergeschlagen wurde, beschuldigt Thomas des Mordes an Charlotte B. Hansen vor zwanzig Jahren. Der Frau, die du auf dem Foto erkannt hast. Wir haben das auf Band. Du hattest recht, es besteht eindeutig die eine oder andere Verbindung zwischen diesem Fall und dem Mord an Kissi.«
Rebekka setzte sich verwirrt im Bett auf, das Handy ans Ohr gedrückt, um Rezas schnarrende Stimme besser hören zu können. Sie hatten ein paar geschäftige Nachtstunden im Büro verbracht, und Rebekka hatte wieder einmal nur wenige Stunden geschlafen. Sie spürte, dass ihr Körper bald streiken würde, wenn sie nicht endlich einmal ordentlich durchschlafen konnte.
»Gibt Thomas irgendetwas zu?«
»Nein, leider nicht. Aber es erschüttert ihn ganz eindeutig, mit dem Fall konfrontiert zu werden, man hört, dass sie sich heftig streiten, bevor es zu der Schlägerei kommt. Aber jetzt komm schnell her.«
Reza knallte den Hörer auf, und Rebekka sprang aus dem Bett und stürmte ins Bad. Sie stand unter der warmen Dusche, putzte sich schnell die Zähne, lief zurück ins Schlafzimmer, zog ihren hübschesten Slip und ihren schönsten BH an und fragte sich gleichzeitig, warum sie das tat. Dann schlüpfte sie in ein Paar saubere Jeans und eine schwarze Tunika, trug etwas Mascara auf und stürmte aus der Tür.
Sie spürte die euphorische Stimmung bereits unten im Präsidium. Der lange Gang summte von Stimmen, und alle liefen durcheinander. Sie eilte ins Büro, wo sich Brodersen, Simonsen, Niclas und Reza vor einem kleineren Computer versammelt hatten.
»Komm und hör dir das an. Das ist total verrückt, dass der ältere Mann parallel zu unserer seine eigene Ermittlung betrieben hat. Er heißt übrigens Sejr Brask und war früher Journalist bei Ekstra Bladet .«
Brodersen nickte.
»Ich kann mich gut an ihn erinnern, er war für die Kriminalfälle zuständig und ein scharfer Hund, aber auch sehr beharrlich. Er hat nicht aufgehört zu fragen, bis er seine Antworten bekommen hat.«
Niclas spielte ihr die Tonaufnahme vor. Die Aufnahme war trotz der Versuche der Techniker, sie zu verbessern, sehr leise, und man musste sich anstrengen, um zu hören, was während des lauten Kratzens von Kleidung gegen das Mikrofon gesagt wurde. Rebekka schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Die Aufnahme begann mit einem Stöhnen, das von Sejr Brask auf dem Weg die steilen Stufen zu Thomas’ Atelier hinauf stammen musste. Es wurde mehrmals angeklopft, dann waren das Geräusch einer knarrenden Tür zu hören und ein leises, undeutliches Murmeln. Kommen Sie herein, sagte Thomas, eine Tür wurde geschlossen, und leichte Schritte erklangen. Sie setzten sich, Thomas bot Sejr Brask Tee an, den der Alte ablehnte, und dann fragte Sejr Brask, ob Thomas sich an ihn erinnerte. Das tat Thomas nicht, und Sejr Brask begann von dem Mord an Charlotte B. Hansen vor zwanzig Jahren zu erzählen, während Thomas immer schweigsamer wurde.
Jetzt ist Ihre Mutter auch ermordet worden, was glauben Sie, warum ich hier sitze?, fragte der alte Journalist, und Thomas zischte laut,
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