Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Ermittlungsleiter in dem Fall. Eine hässliche Sache. Wir haben über tausend Personen befragt, den Täter aber nie gefasst. Wir haben auf der Frau biologische Spuren gefunden, aber das war vor der Zeit der DNA. Man hat natürlich alles aufbewahrt für den Fall, dass bei uns ein Tipp eingeht.«
»Ich würde mir die Ermittlungsakten gerne ansehen. Das kann kein Zufall sein.«
»Rebekka, das Leben ist voller Zufälle, das müsste dich deine Erfahrung als Ermittlerin doch gelehrt haben.« Brodersen sah sie müde an, doch sie bestand darauf.
»Es könnte doch eine Verbindung zu dem Mord an Kissi Schack geben?«
Der Chef der Mordkommission sah sie nachsichtig an.
»Hör mal, Rebekka, bist du dir überhaupt sicher, dass es sich um dieselbe Frau handelt? Reza erinnert sich schließlich nicht an sie.« Er betrachtete kurz das Bild an der Tür. »Sie gleicht doch Hunderten anderer junger Frauen – langes, dunkles Haar …«
»Du hast recht.« Rebekka schrie fast. »Langes, dunkles Haar, das ist das Stichwort. Ich will die Ermittlungsakten sehen …«
»Der Fall wurde zu den Akten gelegt. Sie sind im Keller. Ich kann dich nicht daran hindern, sie dir zu holen, aber ich muss, ehrlich gesagt, zugeben, dass ich der Meinung bin, dass du deine und unsere Zeit vergeudest. Wir haben im Moment genug, womit wir uns beschäftigen müssen. Ali und Haleema sitzen in Untersuchungshaft und sind höchstwahrscheinlich des Mordes an Kissi Schack sowie der Mitwirkung an den Morden an Iman Salib, Fatima Hosseini und Gott weiß wem noch schuldig …«
»Ich garantiere dir, dass ich keine Zeit vergeude«, antwortete Rebekka und stürmte aus der Tür.
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Der Abend war kühl und dunkel und der Himmel voller blasser kleiner Sterne, und Sejr kam sich plötzlich klein und unbedeutend vor, während er die Hauswand in der Brolæggergade entlangschlich. An der Ecke spähte er zu der obersten Etage hoch, wo Thomas Schack Lefevre dem Einwohnerverzeichnis zufolge wohnen sollte. Es war dunkel dort oben, und das überraschte ihn einen Moment. Künstler waren doch Nachtmenschen. War die Kreativität zu dieser Tageszeit nicht am größten? Bei ihm war das jedenfalls so. Er hatte immer abends und nachts am besten arbeiten können, hatte seine Artikel geschrieben, während er unzählige Zigaretten geraucht und Ozeane von Whisky und Kaffee in sich hineingeschüttet hatte. In der Nacht schienen die Gedanken mehr Platz zu haben, sie konnten keimen und wachsen, ohne durch Lärm oder die unangebrachte Einmischung anderer gestört zu werden.
Sejr schnappte nach Luft, er spürte, wie Nervosität durch seinen Körper kribbelte, und steckte reflexartig die Hand in die Jackentasche und holte den Flachmann heraus. Er drehte den Deckel ab und trank mit zitternden Fingern einen Schluck. Der Alkohol brannte bis weit hinunter in den Magen, und kurz darauf breitete sich Wärme im Körper aus. Er zog vorsichtig den Reißverschluss herunter und überprüfte, ob die Abhörvorrichtung richtig montiert war. Es war gut, dass er in die Lanterne hinuntergegangen war, der Barkeeper hatte einen Sohn, der technisch begabt war und Sejr bereitwillig seine Ausrüstung geliehen hatte, ohne Fragen zu stellen. Sejr hatte sich den kleinen Harddisk-Rekorder mit Klebeband auf den Bauch geklebt und seine liebe Not gehabt, das Klemmmikrofon so am Hemdkragen zu befestigen, dass man es nicht sah. Er richtete sich auf und erinnerte sich daran, dass es jetzt darauf ankam, Thomas zum Reden zu bringen. Er hatte sich den Augenblick immer wieder ausgemalt, wenn er an Thomas’ Tür klingeln und ihn mit seinem Wissen konfrontieren würde. Sejr lächelte, er spürte das alte Herz kräftig unter dem Hemd schlagen, und das Klebeband zwickte etwas auf seiner Brust. Thomas Schack Lefevre hatte die Polizei lange genug an der Nase herumgeführt. Wenn Sejr ihn überführen konnte, würden die Morde an Charlotte B. Hansen und Kissi Schack aufgeklärt und Sejr ein Held sein. Er würde Interviews geben, Artikel über die Aufklärung schreiben, möglicherweise ein Buch über die Fälle herausbringen. Das machte man in den USA, warum also nicht auch in Dänemark?
Er stieß gegen die Haustür und konnte seinem eigenen Glück kaum glauben, als sie mit einem leisen Knarren nachgab und aufging. Er schlich sich in das dunkle Treppenhaus. Es roch leicht nach Schimmel, und einen Augenblick war er wieder im Treppenhaus seiner Kindheit so um 1940. Erinnerungen an die kräftige Gestalt der Mutter mit der weißen
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