Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Tür stehen sah. Gedämpfter Jazz drang zusammen mit schwachem Bratengeruch zu ihnen heraus.
»Hallo, Kristine, wir müssen noch einmal mit Ihnen reden. Es gibt nämlich einige Unklarheiten in Verbindung mit dem Mord an Ihrer Kollegin Kissi.«
»Aber den hat doch Thomas begangen. Thomas Schack Lefevre hat seine Mutter umgebracht. Das haben sie auch in den Nachrichten gesagt …« Kristines Stimme war schrill. Vor Angst.
»Leider ist es nicht so einfach. Dürfen wir vielleicht hereinkommen, ein Treppenhaus ist nicht der richtige Ort, um solche Dinge zu besprechen, und es wird …«
Rebekka konnte den Satz nicht beenden, bevor Kristine die Tür mit einem lauten Knall zuschlug. Sie starrten sich einen Moment überrascht an.
»Kristine. Machen Sie die Tür auf.« Reza hämmerte mit den Fäusten gegen die Wohnungstür.
Rebekka legte den Kopf gegen die Tür und sagte eindringlich: »Kristine, machen Sie die Tür auf. Lassen Sie uns still und ruhig miteinander reden. Das nützt doch nichts, Kristine. Sie können wählen, ob Sie die Tür freiwillig öffnen oder ob wir mit Gewalt hereinkommen sollen …«
»Was ist denn hier los?«
Eine ältere Frau in einem Bademantel und Hausschuhen öffnete die Tür der Nachbarwohnung und sah sie misstrauisch an. Rebekka zeigte ihr ihre Polizeimarke und scheuchte sie zurück in ihre Wohnung.
Reza sah Rebekka an und fragte: »Soll ich die Tür eintreten?«
Sie nickte, und er trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und versetzte der Tür einen kräftigen Tritt. Es gab zwar eine Beule im Holz, doch die Tür ging nicht auf.
»Verdammt.«
Reza fluchte, während er erneut Anlauf nahm und sich gegen die Tür warf, die mit einem lauten Krachen nachgab. Sie waren drin. Rebekka machte Reza ein Zeichen, nach rechts zu gehen, während sie selbst nach links ging. Sie öffnete die erste Tür in ein kleineres Bad, das leer war, und begab sich zur nächsten, der Schlafzimmertür. Rebekka sah unter dem Bett und in den Schränken nach, doch Kristine war nicht da. Sie machte die nächste Tür auf, die in eine kleine Küche führte. Es gab keine Küchentreppe, demnach musste Kristine noch immer in der Wohnung sein, es sei denn …
Sie hörte Reza laut rufen.
»Reza, was ist los?« Sie lief ins Wohnzimmer, wo Reza sich weit aus dem offenen Fenster beugte. Eine lange weiße Gardine flatterte im kühlen Wind.
»Sie ist hier«, rief er und drehte sich zu ihr um. »Sie ist aufs Dach geklettert. Sie ruft, dass sie sterben will.«
»Lass mich mal.«
Reza machte ihr Platz, und Rebekka kletterte auf die Fensterbank und lehnte sich mit dem Oberkörper aus dem Fenster. Gut anderthalb Meter von ihr entfernt stand Kristine gegen das schräge Ziegeldach gelehnt. Durch die einsetzende Dämmerung lag ihr Gesicht im Schatten, doch sie war sichtlich außer sich, sie zitterte am ganzen Körper, und die Dachrinne, auf der sie stand, knarrte unter ihrem Gewicht.
»Kristine«, rief Rebekka, »das ist es nicht wert, glauben Sie mir. Geben Sie mir Ihre Hand und kommen Sie herein.«
Sie streckte der Frau den Arm hin, doch der Abstand zwischen ihnen war zu groß. Sie erreichte sie nicht.
»Kristine, warum tun Sie das?« Rebekka zwang sich ruhig zu klingen, als hätte sie die Situation im Griff.
»Ich will nicht mehr. Ich will nicht mehr leben.« Kristine weinte, laut und klagend.
»Warum wollen Sie nicht mehr leben?«
Kristine antwortete nicht.
»Kristine, hören Sie zu, was ich sage.« Rebekka klang ruhig, aber bestimmt. »Es kann gut sein, dass Sie das so empfinden, aber ich weiß, dass Sie das nicht meinen – in Ihrem tiefsten Inneren.«
»Doch, das tue ich. Mir ist alles egal. Es gibt sowieso nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt.«
»Sie stehen unter Schock, deshalb sagen Sie das. Sie sind eine junge Frau, es gibt so viel, für das es sich zu leben lohnt. Was ist mit Ihrem Vater, Ihren Freunden und Freundinnen, Ihrer Arbeit, die Sie so gut machen?«
Einige Sekunden verstrichen.
»Ich will nicht ins Gefängnis.« Kristine fing erneut an zu weinen, und Rebekkas Herz schlug heftig. Kam jetzt ein Geständnis?
»Warum sollten Sie ins Gefängnis?«
Rebekka setzte einen Fuß auf das Dach hinaus und stieß gegen einen losen Ziegelstein, der sofort auf die Straße hinunterfiel. Ungefähr fünfzehn Meter unter ihnen lag der Strandboulevard, auf dem ein paar Autos vorbeifuhren, ohne zu ahnen, was hoch über ihnen vor sich ging. Rebekkas Handflächen waren klamm vor Schweiß, und sie spürte ihren
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