Blut für Blut: Thriller (German Edition)
fort: »Meine Mutter war sehr mit ihrer Karriere beschäftigt, aber wenn sie zu Hause war, hat sie uns jungen Leuten ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Sie wollte wissen, was wir über das Leben und die Gesellschaft denken. Man wurde immer ernst genommen. Einige meiner Freundinnen waren direkt neidisch auf mich, dass ich so eine Mutter hatte, und viele von ihnen haben sich ihr anvertraut, wenn sie Probleme mit ihrem Freund oder der Familie hatten.«
Marie-Louise sah Rebekka aufrichtig an und räusperte sich, bevor sie weitererzählte. »Wir haben in einem großen Haus in Fredriksberg gewohnt. Meine Mutter war bereits damals eine bekannte Sozialarbeiterin, irgendwann hatte sie ihren eigenen Briefkasten in einer Frauenzeitschrift, und mein Vater hat Häuser und Kunst verkauft. Man hat sich um meine Eltern gerissen, sie waren immer zu der einen oder anderen Veranstaltung eingeladen. Ich erinnere mich, dass ich stolz auf sie war. Auf meine Mutter traf der Begriff superwoman zu, lange bevor er in Mode kam.«
Marie-Louise lachte erneut, laut und ein wenig hohl, wie es Rebekka schien.
»Wie ist die Scheidung Ihrer Eltern verlaufen?«
»Gut, wirklich gut. Sie sind die besten Freunde. Oder … waren es.«
Marie-Louise zitterte kurz, dann gewann sie die Fassung zurück.
»Sie haben sich immer noch geliebt. Mein Vater ist ja schwul, und meine Mutter war sehr traurig, als er sich scheiden lassen wollte. Aber sie machte wie immer das Beste aus der Situation. Wenn sie ihn schon nicht als ihren Ehemann haben konnte, dann eben als ihren besten Freund, was bedeutete, dass sich durch die Scheidung für uns Kinder nicht viel geändert hat. Mutter wohnte weiter mit meinem Bruder in dem Haus, und mein Vater kaufte erst das Haus in der Jens Juels Gade und später die Wohnung an Esplanaden. Er kam ab und an zu Besuch und aß mittwochs mit uns zu Abend, wenn er nicht auf Geschäftsreise war. Das klappte gut.«
Rebekka hörte zu, während Reza sich Notizen machte. Es war still im Haus, wenn man von dem konstanten Rauschen der nahen Schnellstraße absah.
»Ich bin einige Monate vor der Scheidung nach Paris gegangen, sodass ich sie nur aus der Ferne mitbekommen habe, nicht hautnah sozusagen. Es war zweifellos für alle eine schwere Zeit, wir waren alle sehr traurig, mein Vater auch. Meine Mutter war trotz allem gefasst, erinnere ich mich; wenn ich von Paris aus zu Hause angerufen habe, klang sie immer froh. Sie hat mir nie Grund zur Unruhe gegeben, und ich habe nicht in Erwägung gezogen, vorzeitig nach Hause zu kommen, meinen Aufenthalt abzubrechen.«
»Was ist mit Ihrem Bruder, mit Thomas?«
»Wie meinen Sie das?« Marie-Louises Pupillen verengten sich kurz, dann lächelte sie wieder ihr vorsichtiges Lächeln.
»Thomas ist einfach Thomas. Er ist sehr charmant, wie Sie wissen. Jemand, dem es leichtfällt, Kontakt zu bekommen. Er hat, wie gesagt, zu Hause gewohnt, als unsere Eltern geschieden wurden, und später hat er mir erzählt, dass das ein paar harte Monate waren. Es ist viel passiert, aber mit der Zeit hat sich alles gefunden. Er ist von zu Hause ausgezogen, meine Mutter hat das Haus verkauft und ist in das Haus in der Jens Juels Gade gezogen, mein Vater hat Liam getroffen und ist in die Wohnung an Esplanaden gezogen. Aber Sie werden wohl auch mit Thomas reden? Dann können Sie sich seine Version der Geschichte anhören. Er war schließlich mehr involviert als ich.«
»Wir statten Thomas später am Tag einen Besuch ab, aber wie war Ihr Verhältnis zueinander in Ihrer Kindheit und Jugend?«
Marie-Louise überlegte einen Moment, bevor sie antwortete: »Ich liebe meinen Bruder sehr. Wir sind nur ein Jahr auseinander – aber doch grundverschieden. Ich bin die Vernünftige, die Verantwortungsbewusste, die Ruhige, während Thomas warmherzig, wild und verantwortungslos ist. Wir sehen uns nicht oft, trotzdem besteht ein besonderes Band zwischen uns. Wir lieben uns, ich bin seine Malle, und er ist mein Tomme .«
Sie tranken ihren Kaffee aus.
»Fällt Ihnen irgendjemand im Umfeld Ihrer Mutter ein, der auf sie eifersüchtig gewesen sein könnte oder mit dem sie Probleme hatte?«
»Nee«, antwortete Marie-Louise und zögerte kurz. »Sie werden bestimmt jemanden finden, der ein wenig neidisch auf sie war, zum Beispiel ihre Kollegin Boel. Meine Mutter hat erzählt, dass sie sich in vielen Punkten uneinig waren und Meinungsverschiedenheiten darüber hatten, wie das Frauenhaus geführt werden sollte, und sie hat sich auch hin und
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