Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Schwester Malle oder Marie-Louise, wie sie eigentlich heißt, und näher als mein Vater. Es klingt verrückt, das zu sagen, aber so ist es nun mal.«
Thomas trank einen Schluck von dem dampfenden Kaffee. Rebekka schaute ihn von der Seite her an, seine Augen waren feucht.
»Wann haben Sie Ihre Mutter das letzte Mal gesehen?«, fragte sie vorsichtig, und er starrte einen Moment gedankenverloren in die Luft.
»Wir haben uns oft gesehen, sie und ich, sodass ich das nicht so genau sagen kann, aber ich glaube, es war am Dienstag. Ich wollte mir ihr Auto ausleihen, das mache ich hin und wieder, und da ist sie hochgekommen und hat Guten Tag gesagt. Sie hatte Take-away-Essen mitgebracht, und wir haben zusammen gegessen, dann ist sie wieder gegangen. Ich musste ja auch malen, ich habe in ein paar Wochen eine Ausstellung«, er machte eine demonstrative Handbewegung zum Atelier hin, »und meine Mutter wollte nach Hause und sich ausruhen. Sie hatte ja auch einen harten Arbeitstag mit vielen Klienten und allem, was dazugehört.«
Er stand plötzlich auf.
»Ich würde Ihnen gerne meine Bilder zeigen. Sie stehen da oben.«
Sie folgten ihm hoch ins Atelier, wo ein abstraktes Ölgemälde neben dem anderen an der Wand lehnte. Mitten auf dem Boden lag eine riesige Leinwand, auf der die schwarze Farbe noch nass schimmerte.
Rebekka kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, was oben und was unten war.
Thomas folgte ihrem Blick, und ein schiefes Lächeln erhellte kurz seine düstere Miene.
»Das da ist das Hauptwerk. Das kommt auf die Vorderseite der Einladung zu meiner Vernissage.«
Thomas blickte zufrieden auf sein Werk, und sie stiegen vorsichtig über Pinsel, Lappen und Farbkleckse und gingen die wenigen Stufen zurück in die Küche.
»Ich habe zurzeit sehr viel zu tun. Ich bin etwas im Rückstand und extrem gestresst. Das ist das Schwierige daran, wenn man Künstler ist. Man kann nicht massenweise produzieren. Das Ganze muss von innen kommen.« Thomas zeigte auf seinen Brustkorb. Seine Stimme war tief, er gestikulierte beim Sprechen, und Rebekka fiel auf, wie anders er doch war als seine kontrollierte Schwester, Marie-Louise.
»Können Sie von Ihrer Kunst leben?«
»Leben und leben.« Thomas zögerte, stand erneut auf und streckte sich. Das zu kurze weiße T-Shirt, das vom Malen ganz fleckig war, rutschte hoch und entblößte einen flachen braunen Bauch mit dunkler Behaarung. Rebekka wandte schnell den Blick ab.
»Es geht so einigermaßen«, antwortete er kurz angebunden.
»Soweit ich das verstanden habe, haben Sie eine Tochter?« Reza sah Thomas an, der breit und warm lächelte.
»Nelly.« Ein Stapel Fotos lag in einer ovalen Keramikschale, die auf dem Tisch stand, und Thomas griff nach den Fotos, blätterte sie durch und warf ein Bild quer über den Tisch. Ein kleines Mädchen von vier, fünf Jahren mit Sommersprossen und dünnen mausbraunen Zöpfen starrte in die Kamera. In ihrem Blick mischten sich Liebreiz und Traurigkeit. Hinter ihr stand eine sommersprossige lächelnde Frau mit langen Haaren. Thomas berührte das Bild kurz mit seinen kräftigen Fingern, die von getrockneter Farbe ganz fleckig waren.
»Ich sehe sie leider nicht oft. Fregne wohnt in Århus. Das heißt, dass Nelly mich nur hin und wieder am Wochenende und in den Ferien besucht. Das ist Fregne, da hinter Nelly auf dem Bild.« Er streckte sich erneut und lächelte breit. »Dass ich sie so selten sehe, bedeutet jedoch auch, dass ich all die Freiheit habe, die ich brauche, und das weiß ich sehr zu schätzen.«
»Wann haben Sie sich getrennt?«, fragte Rebekka. Thomas zuckte gleichgültig mit den Schultern und trank einen Schluck Kaffee. Er schlürfte laut.
»Wir waren nie besonders ineinander verliebt, das Ganze war ziemlich spontan. Nelly war nicht geplant. Ich habe eigentlich nie Kinder gewollt. Aber nun ja, jetzt, wo sie da ist, ist sie willkommen. Aber wir waren von der Geburt unserer Tochter an zusammen, und dann sind sie, Fregne und Nelly, vor einem Jahr ausgezogen.« Thomas sah Rebekka direkt an, während er sprach. Sein Blick war blau und glasklar.
»Wie ist es Ihnen dabei gegangen?«
»Zu Anfang war ich verzweifelt und wütend, Nacht und Tag flossen ineinander, und ich habe fast nicht geschlafen, aber ich bin schnell wieder auf die Beine gekommen. Es ist richtig, dass wir nicht zusammenleben, Fregne und ich. Fregne ist nur vor mir zu der Erkenntnis gekommen.« Er machte eine ausladende Armbewegung und lächelte erneut breit.
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