Blut muss fließen
»Stahlgewitter«: »Eine türkische Stadt auf deutschem Boden, Millionen Fremde, die sich hier austoben. Wie soll ich das denn meinen Kindern erklären, dass wir Deutschen so blöd sind und uns selber zerstören. Multi-Kulti-Terror, Kriminalität, eine sterbende Stadt, es ist schon fast zu spät. Meint ihr nicht auch, dass es langsam reicht, macht ganz Kreuzberg dem Erdboden gleich. Eine Division nach Kreuzberg, eine Division in Schwarz. Keine Gnade mehr für Kreuzberg, keine Gnade, eine Division, und das war’s.« Im Menfis habe ich auch erlebt, wie ein Punker mit Irokesenschnitt, der unter den Gästen war, von einem Sänger das Mikro hingehalten bekam und den soeben angestimmten Rechtsrocktitel auswendig mitsingen konnte.
Rechts rockt – die nationalistische Protestkultur hat sich über jenen Personenkreis hinaus ausgebreitet, den Verfassungsschützer als »rechtsextreme Szene« klassifizieren. Die Braunzone geht fließend in eine Grauzone über. Und »Frei.Wild«-Frontmann Philipp Burger bewegt sich wie ein Chamäleon in diesem Farbspektrum. Während der Fußball-Europameisterschaft 2012 veranlasste ihn ein | 299 | Foto, das eine abgebrochene Deutschlandfahne an einem Auto zeigt, die ein unbekannter Aktivist durch einen Flyer gegen Nationalismus ersetzt hatte, zu folgendem Statement:
»Leider Gottes ist Deutschland auf einem Weg, der jedem Verstand mit Bravour den Atem raubt. Ganz ehrlich, das ist die logische Konsequenz dieser ›Wir alle müssen ewig für die Taten unserer Vorfahren büßen‹-Politik!!! Aber man wollte es so, hat Kinder so erzogen und trägt nun die Konsequenz, selber schuld!!! Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Italiener, Russen, Amerikaner oder zum Beispiel auch Chinesen ihrer Herkunft geschämt hätten, obwohl deren Diktatoren und Regime gleich viele und um viele Millionen Menschen mehr auf dem Gewissen haben, als es unter Scheiß-Hitler-Deutschland der Fall gewesen ist. Der Blick geht Richtung Zukunft und verdammt nochmal nicht ewig in Richtung Vergangenheit. Meiner Meinung nach langt es auch irgendwann mit dieser ewigen ›Selbstscham‹ und diesem niemals enden wollenden ›Selbsthass‹ jedes deutsch sprechenden Bürgers. […] Auch macht man Vergangenes nicht ungeschehen, indem man schon seit Jahrzehnten davon finanziell Profitierende, lechzend nach einer Daseinsberechtigung für ihr klägliches Dasein, weiter unterstützt und ihre Meinung blind unterstreicht, nur um ja nicht dagegen zu pissen.«
Wen er damit wohl meint, der politisch geläuterte Philipp Burger? So allgemein, wie er seine Aussage formuliert hat, bezieht er sie unter anderem auf Holocaust-Überlebende und andere Opfer des Nazi-Regimes. Zur Erinnerung: Anlass für die Burger’schen Ausführungen war doch bloß ein Foto von einem zerstörten Deutschlandfähnchen aus Plastik.
Rund eineinhalb Monate später kündigte das Label Rookies & Kings das neue »Frei.Wild«-Album Feinde deiner Feinde an: »Die Band mit dem Geweih, der salzige Finger in der Wunde der Gesellschaft. Hart, non-konform und eines ganz bestimmt nicht – belanglos und leicht verdaulich.« Das bedeutet für die neue CD: »Dass einige Songs ganz bestimmt wieder für einen Aufschrei in der deutschen Medienlandschaft sorgen können, ist der Band durchaus bewusst.«
Die Musikpostille Rock Hard bestätigte das in ihrer Ausgabe vom August 2012, nach einer Vorabpräsentation der Lieder in Südtirol: | 300 | »Die Zeile ›Nichts als Richter, nichts als Henker, heut’ gibt’s den Stempel, keinen Stern mehr‹ ist Öl ins Feuer der Bandhasser.« Statt die politischen Aussagen der Gruppe zu analysieren, berichtet das Hochglanzmagazin über die Band aus der Grauzone in schillernden Farben: »›Frei.Wild‹ sind – und da können PC-Rocker und Schlips- und-Kragen-Feuilletonisten noch so viel meckern – einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Rockacts.« Als ob es um Political Correctness oder bloße Meckereien ginge. Es geht um nationalistisch und völkisch geprägte Botschaften, gerichtet an junge Leute, für die »Frei.Wild« eine immer größere Bühne bekommt.
Auch das Metal-Magazin Legacy erwähnte in einem Bericht über Feinde deiner Feinde nur, dass, und nicht, warum die Südtiroler Formation umstritten ist: »Viel mussten ›Frei.Wild‹ in der Vergangenheit über sich ergehen lassen, davon einiges überraschenderweise von anderen Bands« – zum Beispiel von den »Ärzten«. Die Punkrock-Band hatte ihren Anti-Nazi-Song Schrei
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