Blut muss fließen
nach Liebe umgetextet. Ursprünglich hieß es dort in der Beschreibung eines Neonazi-Lebens: »Und Romantik ist für dich nicht bloß graue Theorie, zwischen ›Störkraft‹ und den ›Onkelz‹ steht ne Kuschelrock-LP.« Daraus wurde live: »Zwischen ›Frei.Wild‹ und den ›Onkelz‹ steht ne Kuschelrock-LP.« Der Legacy -Berichterstatter kündigte an: »Darauf haben die vier Südtiroler nun mit Wir gehen wie Bomben auf euch nieder eine musikalische Antwort parat« – eine eher militaristische als musikalische Antwort. »Da Gonzo [gemeint ist Matthias ›Gonzo‹ Röhr; Th. K.] mit den ›Onkelz‹ auf diesem Themengebiet ebenfalls sehr viel Erfahrung sammeln durfte, war es ihm eine Herzensangelegenheit, hier mit Gitarrenarbeit zu unterstützen««, fuhr der Legacy -Autor fort. Bei diesem Vergleich übersah er, dass die »Onkelz« zwar jahrelang noch mit ihrer Skinhead-Vergangenheit kokettiert, aber keine nationalistischen oder völkischen Bekenntnisse verbreitet haben. Das Metal-Magazin prophezeite: »Gutmenschen und Moralapostel wird die Nation spalten wie kein anderer ›Frei.Wild‹- Song zuvor.« Zitat aus dem Songtext: »Ich scheiß auf Gutmenschen, Moralapostel, selbst ernannt politisch correct, die Übermenschen des Jahrtausends, ich hasse sie wie die Pest.« Hass gegen »Gutmenschen«: Mit diesem Text kehrt Philipp Burger, der sich nach Wahr | 301 | nehmung des Musikkritikers »in der Märtyrerrolle mit gigantischen Fanmassen im Rücken wohler denn je fühlt«, offiziell in Rechtsrockgefilde zurück. Der politische Erfolg des Propagandasängers: Mit den »Kaiserjägern« hätte er ein paar tausend Leute erreicht, mit »Frei.Wild« kann er Zigtausende beeinflussen.
Im Herbst 2012 beginnt die Tour zur neuen CD. Die Band erobert – unterstützt von renommierten Musikmagazinen und den jeweiligen Vermietern – vollends die Großstadthallen und das Massenpublikum in Deutschland. Ihr Frontmann Philipp Burger ist der erste Rechtsrockstar im klassischen Sinne, denn sein Wirken ist auf keine Szene beschränkt, er erreicht auch das bürgerliche Spektrum, ohne dass sich bislang politischer oder zivilgesellschaftlicher Widerstand regen würde. »Frei.Wild« verkauft und etabliert Nationalismus und Anti-Antifaschismus als hippe Protestkultur. | 302 |
Kapitel 15
RECHTSROCK UND RECHTSRUCK
Ein Nachwort
67 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind Neonazis längst ein Teil des bundesdeutschen Alltags geworden. Und wenn nicht gerade eine braune Terrorgruppe auffliegt, stehen die Rassisten nur bedingt im Fokus der Öffentlichkeit. Viele Politiker, Journalisten und Bürger scheinen sich daran gewöhnt zu haben, dass NPD-Aktivisten in Landtagen sitzen, Nationale Sozialisten in Städten aufmarschieren, Propagandabands rocken und die Zahl der Todesopfer durch fremdenfeindliche Gewalt steigt. | 303 | | 304 |
Zunehmend als störend empfunden wird hingegen die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen und das daraus resultierende Tabu, mit dem der Nationalismus in der Bundesrepublik belegt war. Gegen »Gutmenschen« und »Political Correctness« wenden sich junge Deutschrockfans und »böhse Onkelz« aus dem nationalkonservativen Lager gleichermaßen; sie bilden eine generationenübergreifende Grauzone. Wer Ausländer diffamiert, kann eine Hessenwahl gewinnen (wie Roland Koch 1999) oder ein Vermögen machen. Dass Thilo Sarrazins Thesen zum Thema Migration ein Verkaufsschlager geworden sind, hat allerdings nur bedingt mit dem Zeitgeist zu tun – da haben Medienvertreter kräftig mitgeholfen, indem sie ihn beispielsweise zum Dauergast in Talkshows gemacht haben. Einmal mehr haben es viele Berichterstatter im Wettlauf um die schnellere Nachricht versäumt, zu analysieren, zu hinterfragen und einzuordnen, bevor sie geschrieben oder gesprochen haben.
Dieser journalistische Herdentrieb – immer den Säuen hinterher, die gerade durchs Dorf getrieben werden – hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten sogar dazu beigetragen, dass Kriege mit hanebüchenen Behauptungen vorbereitet und legitimiert werden konnten: Was der angebliche Hufeisenplan der serbischen Regierung (zur Vertreibung der Albaner) vor der deutschen Beteiligung am Koso | 305 | vo-Krieg war, waren vor dem US-geführten Irak-Krieg (ab 2003) die angeblichen Massenvernichtungsmittel von Saddam Hussein. Ehe die Kriegsgründe gegenrecherchiert waren und begründet bezweifelt oder widerlegt werden konnten, waren die Kämpfe in vollem Gange oder gar
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