Blut Schatten
ihre Chucks. Irgendwie kam ich mir mit meinem geflochtenen Zopf und der Schwangerschaftskleidung leicht altbacken vor, denn selbst Steven wirkte dem vorherrschenden Jugendlook angepasst. Na ja, notfalls konnte ich mich als gestrenge Gouvernante der ganzen Truppe aufspielen.
- Kapitel Sechsundzwanzig -
E ine Stunde später begab sich unsere kleine Truppe auf den Weg. Die Dunkelheit brach herein und machte unser Unternehmen dadurch möglich. Weil wir zu sechst waren, zogen wir es vor, den Wagen zu nehmen – die Schlanken nach hinten, die Breiten nach vorn. So saß Kim auf Stevens Schoß, ich rechts daneben und Ernestine links davon. Dad fuhr, und Jason übermittelte ihm Kimberlys Richtungsanweisungen. Nachdem wir uns zweimal verfahren hatten, fanden wir schließlich unser Ziel und stiegen vor einem schwach beleuchteten Gebäude nahe den Docks aus.
Mehrere Wagen und Motorräder standen vor dem Gebäude. Dumpfe, wummernde Musik drang aus der Eingangstür und vermischte sich mit den Stimmen einiger in der Nähe stehender Jugendlicher.
Abermals beschlich mich das Gefühl, nicht hierher zu passen. Ernestine sah das vollkommen anders. Mit unerwarteter Begeisterung ergriff sie Dads Arm und zog ihn in den Laden hinein, Kimberly hinterher. Während Steven von einem Ohr zum anderen zu grinsen begann, seufzten Jason und ich gleichzeitig und folgten ihnen. Kaum hatten wir den abgedunkelten Vorraum betreten, schlug uns ein merkwürdiger Geruch entgegen, den ich nicht einzuordnen wusste. Etwas süßlich, schwer und leichte Übelkeit verursachend.
Steven öffnete die zweite Tür, und vor unseren Blicken erstreckte sich ein großer, im Halbdunkel befindlicher Raum. Es roch nach abgestandenem Bier, kaltem Rauch und stiller Verzweiflung. Diverse Tische standen im Raum, größtenteils von dunkel bekleideten Jugendlichen besetzt, die sich mit alkoholischen Getränken und allerlei Rauchzeug amüsierten. Zwei weißhaarige Jungs in schwarzen, glänzenden Ganzkörperkondomen aus Latex führten mitten im Raum einen zur Musik passenden Balztanz auf, der mich entfernt an eine abstrakte Version des sterbenden Schwans erinnerte. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich das Klirren und Klimpern ihres Piercingschmucks hören. Eine weitere Wolke süßlichen Rauches wehte um meine Nase und nach einem schnellen Rundblick erkannte ich erst einen aufglimmenden Joint, dann ein schwarzhaariges Mädchen mit kohleumrandeten, verklärt leuchtenden Augen. Entzückend.
Die hintere Wand wurde von einer langen, gut besetzten Theke eingenommen. Ein zur Örtlichkeit passender zotteliger Zeckenzüchter bediente die Zapfhähne. Rechts davon war doch tatsächlich ein Billardtisch auszumachen, an dem sich zwei Männer in Motorradkluft ein Spiel lieferten. Die wummernde Musik legte sich wie ein Leichentuch über die triste Atmosphäre. Und hier wollte Kimberly Spaß haben?
»Das ist doch mal ein außergewöhnliches Ambiente.« Steven blickte sich begeistert um. »Trostlos, depressiv, dunkel, modrig. Einfach herrlich. Wo kann man hier mildtätig seine Sterbehilfe anbieten?«
Nun, zumindest einer hatte seinen Spaß.
»Untersteh dich«, raunte ich ihm zu. »Du bist hier Gast.«
»Eben drum.« Voller Vorfreude betrat er den Gastraum und wies auf die Ecke in der Nähe des Billardtisches. »Sieh da! Unsere Rentnergang hat einen freien Tisch ergattert. Schlagt euch zu ihnen durch, ich werde mal sehen, was das Nahrungsangebot so macht.«
»Steven.«
»Keine Sorge, Chefin. Ich fasse nichts an.« Damit verschwand er in Richtung Theke und stand Sekunden später als ausgemachter Charmebolzen neben zwei Mädchen, deren Kleidungsstil dem Kimberlys sehr ähnlich war.
»Sie begeben sich dort entlang, Jason. Ich gehe Steven nach.«
»Aye, Madam.« Er zwinkerte mir zu und unsere Wege trennten sich.
»Einen wunderschönen guten Abend, die Damen«, vernahm ich Stevens gurrende Lockrufe im Halbdunkel an der Theke. Die Reaktion der Mädchen bestand aus einem gezierten Kichern. Es schien für Steven genug Motivation, denn er robbte etwas näher an sie heran. Ich blieb in einigem Abstand an die Theke gelehnt stehen und beobachtete interessiert das Schauspiel. Inzwischen hatte Steven Tuchfühlung aufgenommen, und es war offensichtlich, dass er die beiden Mädchen charmant einwickelte, denn sie hingen bereits an seinen Lippen und sahen ihn mit großen, verklärten Blik-ken an. So wirkte sich das also aus. Sehr aufschlussreich.
Da erschien plötzlich Kimberly auf der Bildfläche.
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