Blut Schatten
sehr genau, was sie tut. Sehen Sie? Sie berechnet vorher genau die Bahn der Kugeln, ebenso die Winkel, die sie anspielen muss. Sie hat nicht einmal danebengelegen.«
Es war erstaunlich. Wie ein Profi fegte sie nacheinander diverse Kugeln vom Tisch, ohne dass ein Mitspieler überhaupt den Hauch einer Chance zum Mitspielen bekam. Die Gelegenheit kam erst, als Dad sie für einen Augenblick mit einer frechen Bemerkung ablenkte, sie schallend lachte und die weiße Kugel wie von Geisterhand weiter in eines der Löcher kullerte.
»Hoppla, der ging wohl daneben, Erni«, triumphierte Dad, und sie lachte abermals.
Ich bedachte Steven mit einem finsteren Blick, den er mit einem unschuldigen Achselzucken quittierte. Als Dad Steven grinsend auf die Schulter schlug, war mir klar, dass beide daran etwas gedreht hatten. Einen kurzen Moment lang dachte ich ernsthaft darüber nach, den beiden ein Schnippchen zu schlagen, entschied mich jedoch anders, als ich sah, dass Steven eine Kugel versenkte, den anderen Stoß jedoch gnadenlos verschenkte. Nachdem Kimberly so breit zu grinsen begann, dass ich befürchtete, ihre Mundwinkel würden gleich ihre Ohrläppchen begrüßen, ahnte ich, was unterschwellig getrieben wurde. Sie manipulierten sich gegenseitig.
»Wer anderen eine Grube gräbt ...«, murmelte Jason und nahm einen Schluck Bier. Dann schüttelte er sich leicht. »Was denken Sie, Faye, bekommt man hier Tee?«
»Das wage ich zu bezweifeln. Aber ich habe hinter der Theke eine Kaffeemaschine gesehen. Vielleicht -«
Er wehrte flugs ab. »Nicht nötig. Ich werde den Abend auch ohne entsprechendes Getränk überleben.«
Ich probierte von der Plörre, schrieb sie ebenfalls als ungenießbar ab und folgte Jasons Beispiel. Dennoch fanden sich Abnehmer für dieses dünne Gesöff, doch anstelle eines neuen Kruges wurde eine Flasche Single Malt bestellt. Damit kam Dad erst richtig in Schwung. Er und Ernestine lieferten sich schließlich ein Snooker-Duell der besonderen Art. Während sie von allerhand Schaulustigen umringt wurden, prägten sie sich die Stöße ein und führten sie dann mit geschlossenen Augen durch. Jeder Treffer wurde mit entsprechendem Gejohle und Beifall der Zuschauer belohnt. Am Ende des Spiels wurde Ernestine als Siegerin auf den Tisch gehoben und frenetisch gefeiert. Dad stand mit stolzgeschwellter Brust daneben und machte jedem klar, dass diese Frau die seine war.
Mit fortschreitender Stunde füllte sich die Bar, und ich bemerkte, wie ich mich unwohl zu fühlen begann. Hatte ich das Schrillen meiner inneren Alarmglocken anfänglich auf die steigende Anzahl der Gäste geschoben, so wurde mir allmählich bewusst, dass sie nur indirekt die Ursache war. Ich verlor die Kontrolle, den für mich notwendigen Überblick. Ich konnte nicht mehr jeden Einzelnen im Auge behalten und musste mich auf die Sicherheit durch meine Begleiter verlassen. Dad und Ernestine lachten und scherzten herum, Kimberly unterhielt sich angeregt mit dieser Lynn. Steven stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt scheinbar gelassen da und hielt als Alibi ein halbvolles Glas in der Hand, das nicht leerer wurde. Jason hatte offensichtliches Vergnügen daran, die Verhaltensweisen einzelner Gäste zu beobachten. So war ich wohl die einzige Person, der eine unangenehme Gänsehaut über den Leib kroch. Wurde ich allmählich paranoid?
Da bemerkte ich, wie Steven plötzlich zusammenzuckte und sich sogleich versteifte. Seine ganze Haltung drückte mit einem Mal absolute Aufmerksamkeit aus. Argwöhnisch sah ich mich um. Mein Blick streifte Jason, und auch er wirkte sehr konzentriert. Also lag ich doch nicht daneben.
»Wir sollten gehen«, vernahm ich Steven jäh neben mir. »Bringen Sie Faye raus, Jason. Ich werde die anderen holen.«
»Was ist los?«, fragte ich nervös. Ich konnte nichts ausmachen, fühlte nur, dass etwas nicht stimmte.
»Kommen Sie«, erwiderte Jason, ohne auf meine Frage einzugehen, ergriff meinen Arm, zog mich von Stuhl und durch die Menge auf den Ausgang zu.
Im selben Moment flog die Tür auf, und eine große Gruppe deutlich erkennbarer Gothic-Anhänger strömte lärmend in den Raum. Die vorherrschende Farbe war Schwarz, ob nun als Farbe der Haare oder als Farbe der Kleidung, die überwiegend aus Glattleder zu bestehen schien, ob nun Hosen, Röcke oder Jacken und lange Mäntel. Zudem waren sie sehr auffällig geschminkt – Kohle umrandete Augen, sehr bleicher Teint, schwarz bemalte Lippen. Einige von ihnen trugen Nietenbänder um
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