Blut Schatten
McNamara.« Die Fahrstuhltüren fuhren auf, und Jason gebot mir einzusteigen. »Ich nehme an, Sie wünschen die Lobby.« Die Türen schlossen sich.
»Ich wünsche den Central Park und etwas Ruhe«, entgegnete ich.
»Sollen Sie haben, Miss McNamara.«
S ehr wohl bemerkte ich die erstaunten Blicke, als ich im verwaschenen grauen Jogginganzug die Lobby durchquerte. Ich ignorierte sie. Als ich auf dem Gehweg vor dem Hotel stand, atmete ich einmal kurz durch und wandte mich nach rechts Richtung Grand
Army Plaza, um nach einigen Metern mittels eines Zebrastreifens die Central Park South zu überqueren. Links von mir befand sich eine Haltestelle, an der mehrere Passanten auf die ankommenden Busse warteten, schräg vor mir ging es auf einem schmalen, asphaltierten Weg in den Park hinein. Auf diesem gelangte ich nach einigen Metern an einen See, The Pond genannt, der entweder umgangen oder an einer Stelle auf einer Brücke überquert werden konnte.
Mich umsehend bemerkte ich Jason einige Meter hinter mir und überlegte ernsthaft, ihm davonzulaufen. Allerdings wusste ich um seine hervorragende körperliche Konstitution und war mir nicht sicher, wem von uns zuerst die Puste ausgehen würde. Also winkte ich ihm zu und wartete, bis er bei mir angelangt war. »Sie geben ja doch keine Ruhe, Jason.«
»Es ist immer wieder erfreulich zu konstatieren, wie gut wir einander verstehen, Miss McNamara.«
»Nur keinen Honig ums Maul geschmiert, Jason«, gab ich zurück und warf einen Blick auf seine auf Hochglanz polierten, schwarzen Lacklederschuhe, um dann sein komplettes Erscheinungsbild in Augenschein zu nehmen. Dunkelbraune Hose mit Bügelfalte, dazu ein beigefarbenes Hemd mit passender Krawatte, zudem eine Weste mit dem dazugehörigen Sakko aus dunkelbraunem, englischen Tweed, ergänzt durch streng zurückgekämmtes, graues Haar. »Können Sie so auch laufen?«
Er lächelte steif. »Auch wenn ich für solcherlei Unternehmungen etwas overdressed bin, Miss McNamara, kann ich Ihnen versichern, mit Ihnen durchaus Schritt halten zu können.«
»Sie werden schwitzen, Jason.«
»Sie nicht minder, Miss McNamara.«
»Sie könnten sich die Kleidung ruinieren, Jason.«
»Sie werden ebenfalls nicht ohne sichtbare Spuren verbleiben, Miss McNamara.«
»Sie geben ja Widerworte, Jason.«
»Mit Verlaub, Miss McNamara, das habe ich von Ihnen gelernt.«
»Hah.« Ich boxte ihm scherzhaft gegen den Oberarm. »Das konnten Sie auch vorher schon gut.«
Sein Blick wurde zweifelnd. »Meinen Sie?«
Lachend begann ich langsam rückwärts zu tänzeln, drehte mich schließlich um und legte eine Art Trab hin. Jason sollte zumindest eine sportliche Chance erhalten. Er nutzte sie, indem er energisch ausschritt und die Distanz, die ich lief, schnell gehend zurücklegte. Und da wir vom Erscheinungsbild her ein eher kurioses Pärchen darstellten, schien diese Lösung die sinnvollste zu sein.
Wir bewegten uns den Weg am See entlang, der eine große Kurve beschrieb und dann am Wollman Rink vorbei in Richtung Zoo führte. In einiger Entfernung sah ich die für den New Yorker Central Park so typischen Kutschen und Rikschas auf den Hauptwegen fahren. Hauptsächlich romantisch veranlagte Pärchen bevorzugten diese Transportmittel, nur sehr selten ließ sich eine einzelne Person auf diese Weise befördern. Als ich auf dem East Drive ein kurzes Stück neben einem solchen Gefährt herlief, überlegte ich, mir bei Gelegenheit einmal diesen Luxus zu gönnen.
Diese Entscheidung sollte schneller fallen als gedacht. Auf Höhe des Central Park Boathouse, direkt am Seitenarm des Lake gelegen, sah ich mich nach Jason um, der einige Meter zurückgefallen war. Schon von hier aus erkannte ich die Schweißtropfen auf seiner Stirn, die nicht nur vom warmen Herbstwetter stammten. Er hatte sein Sakko inzwischen ausgezogen und unter den Arm geklemmt, die oberen Knöpfe der Weste geöffnet und den Krawattenknoten leicht gelockert, eilte mir jedoch mit unverminderter Geschwindigkeit nach. Ich blieb stehen und wartete, bis er bei mir angelangt war.
»Ich dachte, wir laufen einmal bis ans Ende des Parks und wieder zurück«, meinte ich gespielt schmollend, und Jason rang sich ein Lächeln ab. »Wenn Sie es wünschen, gerne, Miss McNamara. Gestatten Sie mir jedoch bitte, vorher ein Sauerstoffzelt zu ordern.«
»Das wird vielleicht nicht nötig sein«, gab ich zurück, als ich entdeckte, wie ein Pärchen vor dem Cafe aus einer Kutsche stieg. Kurzerhand ergriff ich Jason beim Arm.
Weitere Kostenlose Bücher