Blut Schatten
Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. »Wieso sind Sie in seinen Dienst getreten, obwohl Sie mehr sind als ein Angestellter?«
»Nennen Sie es die logische Konsequenz aus den Gegebenheiten heraus, Miss McNamara. Mit Erreichen des Schulalters schickte Mr. Knight mich nach Eton auf das Internat. Er wollte sichergehen, dass ich die bestmögliche Bildung erhalten würde, und gleichzeitig Distanz zu mir und seinem eigenen Wirken aufbauen.«
Ich verzog das Gesicht. Eton hatte einen besonderen Ruf in England und war eine der strengsten Schulen überhaupt. Gekrönte Häupter, diverse Blaublüter und solche, die genug Kleingeld für die horrenden Gebühren hatten, schickten ihre Sprösslinge dorthin und hofften auf die bestmögliche Bildung und Erziehung. Dass die Unterrichtsmethoden weniger an Waldorfpädagogik denn an Kasernendrill ausgerichtet waren, schmälerte nicht den Nimbus dieser Einrichtung.
»Gingen Sie nach Eton zu ihm zurück?«
»Nicht sofort, Miss McNamara. Zuvor besuchte ich eine Militärakademie, verbrachte mehrere Jahre mit Auslandseinsätzen, ehe ich meine Laufbahn beendete und nach England zurückkehrte. Anfangs war es für mich nicht leicht, Mr. Knight die gewohnte Vaterrolle einzuräumen, da sich unser Aussehen vom Alter her in zunehmenden Maße annäherte, was eines Tages zwangsläufig Fragen aufwerfen würde.« Jason lächelte amüsiert. »Briefe und Telefonate geben nicht das äußere Erscheinungsbild wieder, und meine Erwartungen diesbezüglich – obwohl ich es hätte wissen müssen – entsprachen kaum der Wirklichkeit. Nachdem ich auf diese Weise durchaus eindrucksvoll hatte feststellen dürfen, dass ich zwar älter wurde, Mr. Knight jedoch nicht, war ein Umstrukturieren unseres Verhältnisses mehr als angebracht. Die Zeit des Verstek-kens war vorbei. Es war meine Entscheidung, offiziell in seinen Dienst zu treten, Miss McNamara. Mein Besuch einer renommierten Butlerschule in London war somit vorprogrammiert.«
»Wie alt waren Sie zu dem Zeitpunkt, Jason?«
»Zweiunddreißig, Miss McNamara.« Er zwinkerte mir zu. »Und es war die Zeit, in der ich Eileen kennenlernte. Allein deshalb war es mehr als sinnvoll, diese Rolle gewählt zu haben.«
Ich lachte. »Das glaube ich gern. Es muss für sie ein ziemlicher Schock gewesen sein, als sie es herausfand.«
»In der Tat, Miss McNamara. Allerdings äußerte sich dieser Schock in Form einer eindrucksvollen Demonstration ihres imposanten Stimmvolumens und ihrer bemerkenswerten Physis, die sowohl Mr. Knight als auch meine Wenigkeit zu der Entscheidung gelangen ließ, meiner Frau niemals wieder ein solches Geheimnis vorzuenthalten.«
»Sie faltete euch zusammen?«
»Sie attackierte mich mit einem Schürhaken und Mr. Knight mit dem dazugehörigen Ascheimer. Sie geruhte zudem, uns die unflätigsten Wortschöpfungen auf Gottes weiter Erde entgegen-zuschleudern.«
Die Vorstellung dieser Szene ließ mich kichern. »Ich bin erstaunt, Jason.«
»Das war ich nicht minder, Miss McNamara. Meine zarte Eileen verwandelte sich in eine Furie.« Irrte ich oder lachte er leise?
»Ich hoffe, das werde ich niemals erleben müssen.«
»Oh.« Er nickte bestätigend. »Das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.«
»Sie hat sich ja beruhigt.«
»Es dauerte eine Weile, aber das hat sie, ja. Und wie Sie selbst wissen, blieb sie bei mir und somit auch bei Mr. Knight. Werden Sie bleiben, Miss McNamara?«
Der ernste Ton seiner letzten Frage ließ mich aufhorchen. Über diese Möglichkeit hatte ich niemals nachgedacht, geschweige denn, dass ich überhaupt darüber nachdenken wollte. Entsprechend empört fiel meine Antwort aus: »Selbstverständlich werde ich bleiben, Jason. Es gehört schon einiges mehr dazu als besorgtes Überwachen, um mich wirklich loszuwerden.«
»Auf diese Antwort hatte ich gehofft. Es freut mich, dass ich mich nicht in Ihnen getäuscht habe. Geben Sie Mr. Knight Zeit, diese Situation ist auch für ihn neu. Einen Ziehsohn großzuziehen, ist etwas vollkommen anderes als ein eigenes Kind. Insbesondere, wenn es sich dabei nahezu um ein Wunder handelt.«
Wir hatten das Metropolitan- Kunstmuseum passiert und fuhren am linksseitig liegenden Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir vorbei. Parallel zu uns, rechts auf der Fifth Avenue, befand sich das auffällige Gebäude des Guggenheim-Museums für moderne und abstrakte Kunst, in dem allerdings auch Werke aus anderen Epochen zu finden waren. Auch wenn man keine Ahnung hatte, was ein Werk
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