Blut Schatten
»Wollen wir die einfach kapern?«
»Okay«, gab Jason leise zurück. »Sie springen auf und ich lenke den Kutscher ab, indem ich mit ihm über den Preis verhandle.«
Ich blieb abrupt stehen. Geld. Mist. Das hatte ich vollkommen vergessen.
»Was ist?«, erkundigte sich mein Mitverschwörer erstaunt. Ich verzog das Gesicht. »Diese Hosen haben leider nur leere Taschen.«
»Oh. Dafür hat meine Tasche eine Füllung. Wenn Sie also erlauben?« Jason reichte mir seinen Arm, geleitete mich bis vor die Droschke und half mir beim Einsteigen. Dann wandte er sich an den Kutscher, und ein zähes Verhandeln begann, aus dem Jason am Ende als Gewinner hervorging. Ich hätte nie gedacht, dass er dermaßen gut feilschen konnte.
»Die nächste Stunde gehört uns«, ließ er erfreut hören, als er sich neben mich setzte und demonstrativ sein Handy ausschaltete. »Genießen wir die Fahrt, Miss McNamara. Wer weiß, was uns danach erwartet.«
Wir wussten es beide: Darian. Und wir verdrängten es auch beide. Ich schaltete ebenfalls mein Handy aus. Die beschlagenen Hufe des Pferdes klapperten gleichmäßig auf dem Asphalt der Straße, und die vorbei gleitende Parklandschaft sorgte zusätzlich für die Illusion von Freiheit und Ruhe. Eine Weile ließen wir uns von dieser Atmosphäre einfangen, betrachteten das nachmittägliche Herbstbild des Parks und schwiegen.
»Warum genau sind Sie geflohen, Miss McNamara?«, erkundigte sich Jason schließlich und legte dabei einen Arm auf die Lehne. Ich hatte mich zurückgelehnt und einen Fuß gegen die Sitzfläche gegenüber gestellt. »Ist das so auffällig, Jason?«
Er lachte. »Kaum hatten Sie das Hotel verlassen, trat ein Strahlen auf Ihr Gesicht.«
»Tatsächlich? Aber Sie haben Recht. Ich bin es leid, überwacht und beobachtet zu werden und ständig das Gefühl zu haben, eingesperrt zu sein.« Ich saß wieder gerade und sah ihn ernst an. »Warum haben Sie mich begleitet, und warum helfen Sie mir, wenn Darian ihr Boss ist?«
»Weil ich Ihre Gefühle und die derzeitige Situation aus eigener Erfahrung kenne, Miss McNamara. Ja, Mr. Knight ist mein Boss, und nicht nur das. Er ist viel mehr. Sicherlich ist Ihnen das längst bekannt.«
Ich erinnerte mich an das Gespräch mit Jasons Frau Eileen vor einigen Wochen in der Küche, als sie mir erzählt hatte, warum sie und Jason bei Darian waren, obwohl sie wussten, wer und was er war. Und genau deswegen befand ich mich in einer Zwickmühle. Eileen hatte mich gebeten, kein Wort darüber verlauten zu lassen. Und nun saß ich neben Jason in dieser Kutsche und wollte ihn nicht belügen, indem ich vorgab, gar keine Ahnung zu haben. Also wich ich etwas aus. »Ich habe davon gehört, stimmt. Und dass Sie schon sehr lange bei Darian sind.«
»Seit ich mich erinnern kann. Er las mich auf und zog mich groß. Er gab mir ein Dach über dem Kopf, sorgte für eine angemessene Bildung und ersetzte mir die Familie, die ich ohne ihn niemals gehabt hätte.« Jason hielt inne, daher nickte ich schnell. Er seufzte leise. »Obwohl es nicht beabsichtigt war, war anfangs seine Sorge um mich nahezu erdrückend.«
»Er hat Sie auch so streng überwacht?«, rutschte es mir heraus.
Jason schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, Miss McNamara. Er versuchte, mich vor allem abzuschirmen, was er war und tat. Er versuchte, mich auszuschließen, und je mehr er das tat, desto neugieriger wurde ich. Und da Sie ihn selbst kennen, wissen Sie, dass er auf jede Frage eine Antwort gibt. Leider oftmals nicht die ausführlichen Antworten, die man gerne hätte, vor allem, wenn man jung und wissbegierig ist. Was blieb mir übrig, als ihm zu folgen?«
»Dabei hat er Sie erwischt«, ergänzte ich und Jason nickte. »Allerdings. Dazu in einer Situation, die leicht ins Auge hätte gehen können. Ich war zu dem Zeitpunkt erst fünf und kaum in der Lage zu unterscheiden, was für ein Kind gut und weniger gut ist. Um auszuschließen, dass ich nochmals in Gefahr geraten würde, unterrichtete er mich schließlich. Sämtliche Vorgänge wurden so für mich zur Normalität, obwohl mich vieles nicht mehr überraschen konnte, denn seine Reserven im Kühlschrank hatte ich längst entdeckt. Und doch erging es mir damals so ähnlich wie Ihnen heute. Mr. Knights wachsamen Augen entging kaum etwas. Es bedurfte sehr viel Geduld und Verständnis von meiner Seite aus, um zu akzeptieren, warum er tat, was er tat.«
Ich begriff. Und doch war ich neugierig auf seine weitere Geschichte und beschloss, diese
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