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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Die Todds hatten ein großes Sommerhaus am Castle Lake, und Homer war seit ewigen Zeiten ihr Hausmeister. Ich hatte das Gefühl, dass er Worth Todds zweite Frau so sehr ablehnte, wie er ’Phelia Todd, die erste, gern gehabt hatte.
    Das war vor etwa zwei Jahren, und wir saßen auf einer Bank vor Bell’s Market, ich mit einer Flasche Orangenbrause, Homer mit einem Glas Mineralwasser. Es war Oktober, in Castle Rock immer ein ruhiger Monat. Viele Sommerhäuser am See werden an Wochenenden zwar noch bewohnt, aber der lärmende, bierselige Sommerrummel ist vorüber, und die Jäger mit ihren großen Gewehren und den teuren Ortsfremdenjagdscheinen, die sie an den orangefarbenen Mützen befestigen, sind noch nicht da. Der größte Teil der Ernte ist eingebracht. Die Nächte sind kühl, angenehm zum Schlafen, und alte Knochen wie meine haben noch keinen Grund zur Klage. Im Oktober ist der Himmel über dem See wunderschön, mit den großen weißen Wolken, die so langsam dahinziehen; es gefällt mir, dass ihre Unterseiten so flach aussehen und ein bisschen grau sind, als würden sie die Schatten des Sonnenuntergangs schon vorwegnehmen, und es wird mir minutenlang nicht langweilig zu beobachten, wie die Sonne auf dem Wasser funkelt. Im Oktober, wenn ich auf der Bank vor Bell’s Market sitze und aus der Ferne den See betrachte, wünsche ich mir, ich würde noch rauchen.
    »Sie fährt nicht so schnell wie ’Phelia«, sagte Homer. »Ich schwör, ich hab immer gedacht, was für einen altmodischen Namen sie für ’ne Frau hatte, die ein Auto so auf Touren bringen konnte.«
    Sommergäste wie die Todds sind für die ständigen Einwohner kleiner Städte in Maine längst nicht so interessant, wie sie sich selbst einbilden. Die Einheimischen bevorzugen ihre eigenen Liebesgeschichten und Hassgeschichten und Skandale und Gerüchte über Skandale. Als der Textilfritze aus Amesbury sich erschoss, musste Estonia Corbridge feststellen, dass sie mit ihrer Schilderung, wie sie die Leiche mit der Pistole in der noch nicht einmal steifen Hand gefunden hatte, schon nach einer Woche nicht einmal mehr zum Mittagessen eingeladen wurde. Über Joe Camber hingegen, der von seinem eigenen Hund getötet wurde, reden die Leute immer noch.
    Na ja, was soll’s. Es ist einfach so, dass sie auf anderen Rennbahnen unterwegs sind als wir. Die Sommergäste sind Traber; wir anderen, die zur Arbeit keine Krawatten umbinden, sind einfache Passgänger. Trotzdem war das lokale Interesse groß, als Ophelia Todd im Jahre 1973 verschwand. Ophelia war eine wirklich nette Frau, und sie hatte eine Menge in der Stadt getan. Sie half mit, Geld für die Sloan-Bücherei und die Restaurierung des Kriegerdenkmals aufzubringen und all so was. Aber die Idee, Gelder aufzubringen, ist eigentlich allen Sommerfrischlern sympathisch. Man braucht nur zu erwähnen, Gelder aufzubringen, und schon bekommen sie leuchtende, strahlende Augen. Man erwähnt, Gelder aufzubringen, dann können sie ein Komitee ins Leben rufen und eine Sekretärin ernennen und eine Tagesordnung festsetzen. Das gefällt ihnen. Erwähnt man aber Zeit (abgesehen von einer endlos langen Komiteesitzung mit anschließender Cocktailparty), hat man kein Glück. Zeit scheint den Sommergästen am meisten am Herzen zu liegen. Sie geizen damit, und wenn sie sich Zeitvorräte in Einmachgläsern anlegen könnten, würden sie es mit Sicherheit tun. Aber ’Phelia Todd war bereit, Zeit zu opfern  – nicht nur Geld für die Bücherei aufzubringen, sondern auch Schreibkram dort zu erledigen. Als es darum ging, das Kriegerdenkmal mit Scheuerlappen und Muskelschmalz zu putzen, war ’Phelia mit Overall und Kopftuch zur Stelle und half den Frauen aus unserer Stadt, die in drei verschiedenen Kriegen ihre Söhne verloren hatten. Und als Kinder zu einem Sommerschwimmkurs gebracht werden mussten, konnte man sie oft die Landing Road entlangfahren sehen, Worth Todds großen glänzenden Lieferwagen hinten mit Kindern vollbeladen. Eine gute Frau. Keine Einheimische, aber eine gute Frau. Und als sie verschwand, herrschte Betroffenheit. Nicht direkt Trauer, denn wenn jemand verschwindet, so ist das etwas anderes als wenn er stirbt. Es ist nicht so, als hätte man etwas mit dem Hackmesser abgetrennt, sondern als würde etwas ganz langsam in den Abfluss rinnen und man erst viel später bemerken, dass es verschwunden ist.
    »Sie fuhr einen Mercedes«, sagte Homer und beantwortete eine Frage, die ich nicht ausgesprochen hatte. »Zweisitziger

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