Blut - Skeleton Crew
Sportwagen. Todd hat ihn ihr vierundsechzig oder fünfundsechzig gekauft, glaub ich. Weißt du noch, wie sie jahrelang die Kinder zum See gefahren hat, wenn sie Schwimmunterricht hatten?«
»Jawoll.«
»Dann fuhr sie höchstens vierzig, wegen der Kinder hinten. Aber es fiel ihr furchtbar schwer. Die Frau hatte Blei in den Füßen und Kugellager hinten in den Knöcheln.«
Früher hatte Homer nie über seine Sommergäste gesprochen. Aber dann starb seine Frau. Vor fünf Jahren war das. Sie pflügte an einer Steigung, und der Traktor kippte um und begrub sie unter sich; die Sache hat Homer schwer mitgenommen. Er trauerte zwei Jahre oder so, dann schien es ihm besser zu gehen. Aber er war nicht mehr der Alte. Er schien immer auf etwas zu warten – auf das nächstes Ereignis. Wenn man in der Abenddämmerung an seinem hübschen Häuschen vorbeikam, saß er oft auf der Veranda, rauchte Pfeife, hatte ein Glas Mineralwasser auf der Verandabrüstung stehen, der Sonnenuntergang spiegelte sich in seinen Augen, Rauchwolken umhüllten seinen Kopf, und man dachte – ich jedenfalls: Homer wartet auf das nächste Ereignis. Das beunruhigte mich mehr, als ich zugeben wollte, und schließlich kam ich auch darauf, es lag daran, dass ich an seiner Stelle nicht auf das nächste Ereignis gewartet hätte wie ein Bräutigam, der den Morgenmantel angezogen und die Krawatte ordentlich gebunden hat und nun aufgeregt auf dem Bett im oberen Stock seines Hauses sitzt und abwechselnd in den Spiegel und auf die Kaminuhr schaut und wartet, dass es elf Uhr wird und er heiraten kann. Ich an seiner Stelle hätte nicht auf das nächste Ereignis gewartet; ich hätte nur noch auf das letzte gewartet.
Aber während jener Wartezeit – die zu Ende ging, als Homer ein Jahr später nach Vermont umzog – redete er manchmal über sie. Mit mir, mit ein paar anderen.
»Soviel ich weiß, ist sie auch mit ihrem Mann nie schnell gefahren. Aber wenn ich mit ihr gefahren bin, hat sie den Mercedes gejagt.«
Ein Mann hielt vor den Zapfsäulen und begann seinen Wagen vollzutanken. Das Auto hatte ein Nummernschild aus Massachusetts.
»Es war keiner von diesen neuen Sportwagen, die mit bleifreiem Benzin fahren und jedes Mal ruckeln, wenn man drauftritt; es war noch einer von den alten, und der Tacho ging bis 160 Meilen pro Stunde. Die Farbe war ’n komisches Braun, und einmal hab ich sie gefragt, wie man diese Farbe nennt, und sie hat gesagt – Champagner. Ist das nicht gut, hab ich gesagt, und daraufhin hat sie schallend gelacht. Ich mag Frauen, die ’nen Witz gleich kapieren und lachen, ohne dass man ihnen die Pointe erklären muss.«
Der Mann an den Zapfsäulen hatte vollgetankt.
»Tag, meine Herren«, sagte er, während er die Treppe raufkam.
»Guten Tag«, sagte ich, und er ging rein.
»’Phelia hat immer nach Abkürzungen gesucht«, fuhr Homer fort, als wären wir nie unterbrochen worden. »Die Frau war verrückt auf Abkürzungen. So was hab ich noch nie erlebt. Sie sagte, wenn man genug Weg sparen kann, spart man auch Zeit. Sie sagte, ihr Vater hätte auf diese Weisheit geschworen. Er war Vertreter, immer unterwegs, und sie hat ihn begleitet, wenn sie konnte, und er hat immer nach dem kürzesten Weg gesucht. Und sie hat die Gewohnheit übernommen.
Einmal hab ich sie gefragt, ob das nicht komisch wäre – einerseits verbrachte sie ihre Zeit damit, die alte Statue im Park zu polieren und Kinder zum Schwimmunterricht zu fahren, anstatt Tennis zu spielen und zu schwimmen und sich zu betrinken wie normale Sommergäste, und andererseits lag ihr so verdammt viel daran, zwischen hier und Freyburg fünfzehn Minuten einzusparen, dass sie darüber wahrscheinlich schlaflose Nächte verbrachte. Mir schien, als ließen sich die zwei Sachen nicht miteinander vereinbaren, wenn du verstehst, was ich meine. Und weißt du, was sie darauf sagte? Sie sieht mich an und sagt: ›Ich helfe gern, Homer. Ich fahr auch gern Auto – wenigstens manchmal, wenn’s eine echte Herausforderung ist – aber es gefällt mir nicht, dass man dabei Zeit verbraucht. Es ist so ähnlich wie beim Kleiderändern – manchmal macht man was kürzer, und manchmal lässt man was raus. Verstehen Sie, was ich meine?‹
›Ich glaub schon, Missus‹, sag ich zweifelnd.
›Wenn es mir die ganze Zeit Spaß machen würde, hinter dem Steuer zu sitzen, würde ich nach Verlängerungen suchen‹, sagte sie, und das brachte mich zum Lachen.«
Der Mann aus Massachusetts kam mit einem
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